Seit einer Woche befindet sich Kreuzberg im Ausnahmezustand. Rund um die Schule in der Ohlauer Straße sichert ein martialisches Polizeiaufgebot die Straßen. All das veranlasst durch die regierende grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. Sie hatte die Polizei um »Amtshilfe« für den angeblich freiwilligen Umzug der Geflüchteten gebeten. »Das ist keine Räumung, das ist ein Umzug« verkündete denn auch letzte Woche dreist ihr Pressesprecher Langenbach. Doch da war die Sache schon aus dem Ruder gelaufen. Herrmann hatte wohl angenommen, die Refugees aus der Ohlauer Straße mit ihrem erpresserischen »Umzugsangebot« genauso über den Tisch ziehen zu können, wie es wenige Monate zuvor Dilek Kolat, die Senatorin für Integration, mit den Geflüchteten vom Oranienplatz getan hatte. Doch die grüne Bezirksbürgermeisterin hatte nicht damit gerechnet, dass die Bewohner*innen in ihrem verzweifelten Mut das Letzte in die Waagschale werfen würden, was ihnen geblieben war: ihr Leben. Die Folge: Ein Patt für Herrmann und die grüne Bezirksregierung. Entschlossene Flüchtlinge auf dem Dach der besetzten Schule, 1700 Bullen, die einen ganzen Häuserblock absperren und die volle Aufmerksamkeit der Medien.
»Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!«
Erinnern wir uns: 2012 hatten Geflüchtete, vor allem aus dem Iran und aus afrikanischen Ländern, mit ihrem »Refugee March« von Würzburg nach Berlin bundesweit für Aufsehen gesorgt. Erst campten sie vorm Brandenburger Tor, dann am Kreuzberger Oranienplatz, bald auch in der Schule in der Ohlauer Straße. Es ging und geht ihnen um das Recht auf Bewegungsfreiheit in einer Welt im Zeichen kapitalistisch-kolonialer Zurichtung. Darauf zielten ihre zwei zentralen Slogans: »We are here because you destroy our countries!« Und deshalb zweitens: »Every refugee is a political refugee!« Keine Frage: Die Lebensbedingungen sowohl auf dem Oranienplatz als auch in der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule in der Ohlauer Straße waren mies – aber die Auseinandersetzung doch Ausdruck kämpferischen Mutes, sich dem deutschen Abschieberegime nicht einfach zu ergeben. Gerade aber die Repolitisierung der Asylrechts- und Aufenthaltsfrage, die einzig und allein die Folge der Proteste der Refugees war, war für den deutschen Staat nicht hinnehmbar.
Politik als Erpressung
Nicht dass wir Illusionen hätten in Bezug auf die Abgefucktheit des Politikbetriebs. Doch es ist ein Skandal, dass sowohl CDU, SPD als auch Grüne in Berlin unverhohlen mit dem Leben der Geflüchteten spielen. Sogar der humanistische Restanspruch dieser Parteien würde es ihnen eigentlich verbieten, so zu handeln, wie sie handeln: Im »Einigungspapier Oranienplatz«, das auch für die Bewohner der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule (GHS) in der Ohlauer Straße gilt, versprach der Senat vor Monaten den Oranienplatz-Geräumten und den Bewohnern der GHS eine wohlwollende Einzelfallprüfung ihrer Asylanträge. Dazu hätte er zunächst die Zuständigkeiten für die Geflüchteten, die infolge der schikanösen Residenzpflicht über die Bundesrepublik verteilt sind, formal an sich ziehen müssen und hätte dies auch ohne Weiteres tun können. Doch nichts ist in der Richtung geschehen. Der Senat erklärt sich stattdessen für nicht zuständig und beruft sich auf Sachzwänge. Die Konsequenz: Die Geflüchteten sind akut von Abschiebung bedroht, teilweise in Länder, in denen sie der sichere Tod erwartet. Wer so eine zynisch-bürgerliche Mitte mit ihrem rassistischen Normalvollzug hat, braucht keine Nazis mehr. Begleitet wurde das »Einigungspapier« zum Oranienplatz vom Versuch seitens des Senats, den politischen Kampf der Geflüchteten zu spalten. Gleichzeitig rückte auf dem Höhepunktes der Verhandlungen ein Großaufgebot der Cops an und räumte gewaltsam den Oranienplatz. Der PR-Gag »Einigungspapier Oranienplatz« lieferte so die moralische Rückendeckung für den Einsatz nicht der Politik, sondern der Polizei. Täuschung, Einschüchterung, Betrug.
»Friedlicher Umzug« – friss und stirb trotzdem
Derart gewarnt, ging das Kalkül der grünen Bezirksregierung zunächst nicht auf, den Widerstand der Geflüchteten in der Schule ebenfalls mit einem Täuschungsmanöver zu beenden. Doch nach einer Woche Pattsituation hat sich die grüne Bezirksregierung heute, am 1. Juli, für die Räumung durch die Polizei und damit für die offene Gewalt gegen die Geflüchteten entschieden. Das dürfte zuallererst all jenen die Augen öffnen, die immer noch wehmütig dem Traum vom links-alternativen Wohlfühl-Bionade-Kreuzberg nachhängen, das für alle offen ist. Angesichts der jetzt offen zutage tretenden »Ausländer raus«-Politik der Grünen gibt es dazu jedoch keinen Anlass. Kreuzberg soll als Lebensform eine exklusive Angelegenheit bleiben: arm aber sexy, aber bitte immerhin mit deutschem oder EU-Pass – ohne schlecht integrierbare afrikanische Flüchtlinge und ohne Sinti und Roma, dafür aber mit buntem Myfest, Öko-Kitas und neuen Fahrradwegen. Dass als nächstes die Cuvry-Brache dran ist, dürfte daher so sicher sein wie das Amen in der Kirche. Soll der Menschen-Ramsch doch sehen, wo er verendet. Was die Kreuzberger Grünen hier einüben, überrascht nicht, es ist in Zeiten von Lampedusa und weltweiten Krisen die Verteidigung des Berliner Standorts gegen Menschen, die nicht gut verwertet werden können – und die Empfehlung für höhere Aufgaben, etwa in Form einer schwarz-grünen Regierungskoalition bei den nächsten Senatswahlen in zwei Jahren. Da trifft es sich, dass die Grünen mit den anders-grünen Bodentruppen des Innensenators Henkel, der 2015 Bürgermeister werden will, schonmal gemeinsam auf der Straße den Schlagstockeinsatz üben dürfen. – Eines sollte jedoch nicht vergessen werden: Mit Blick auf die rechtiche Situation ist allein die schwarz-rote Landesregierung mit Wowereit als Bürgermeister und Henkel als Innensenator zuständig. Auf sie muss jetzt Druck ausgeübt werden. Denn politisch wirksam können nur sie die aufenthaltsrechtliche Verantwortung für die Geflüchteten übernehmen, indem sie die Zuständigkeit für sie erklären und ihnen nach §23 Aufenthaltsgesetz Aufenthaltstitel zusprechen.
Was tun!
Was wir in diesen Tagen erleben ist zynisches Berliner Schmierentheater. Allerdings im Zeichen der Dimension des europäischen Grenzregimes und der übergeordneten Frage um die Zukunft der Geflüchteten weltweit. Führen wir das der Berliner Politik vor Augen. Erteilen wir Rassismus und der kapitalistischen Sachzwang- und Verwertungslogik, die über Leichen geht, eine Absage! Scheiß Grenzregime, Scheiß Bullen, Scheiß Grüne, Scheiß Senat, Feuer und Flamme der Nation!
Rassistische Asylpolitik stoppen! You can’t evict a movement!
Bleiberecht für alle und Anwendung von § 23 Aufenthaltsgesetz!
Freier Zugang zur Schule für Presse und alle anderen!
Demonstration Samstag, 5. Juli, 14 Uhr, Hermannplatz