We like noWKR!
Eine Auswertung von …umsGanze! zur noWKR-Demo 2012
Vor ungefähr einem Jahr startete das kommunistische …umsGanze!-Bündnis unter dem Titel „Vielen Dank für die Blumen – Gegen Integration und Ausgrenzung“ eine Kampagne gegen Sozialchauvinismus und Rassismus. Dabei entstand die Idee, vor dem Hintergrund der Konjunktur reaktionärer Ideologien in Europa und der damit verbundenen Hetze, die nach dem Motto: Schuld an der Misere ist nicht das kapitalistische System, sondern sind „die Anderen“, die „Sozialschmarotzer“ und „Integrationsverweigerer“, funktioniert, ein deutliches Zeichen zu setzen (Stichworte: Thilo Sarrazin-Debatte/ Wahlerfolge der FPÖ – Freiheitliche Partei Österreichs, die mit rechtspopulistischen bis neonazistischen Elementen deutlich über 20 Prozent der Stimmen erhält/ „Pleitegriechen“ usw.). Im Rahmen dieser Kampagne wurde sich auf eine linksradikale Mobilisierung gegen den jährlich stattfindenden reaktionären Ball des Wiener Korporationsrings (WKR-Ball) geeinigt. Dieser Burschenschafterball stellt ein europaweites Treffen von Rechtspopulist_innen bis Neonazis dar: So gaben sich unter anderem Heinz-Christian Strache (FPÖ), Marine Le Pen (Front National) sowie Mitglieder von Vlaams Belang und den Schwedendemokraten am Jahrestag der Auschwitz-Befreiung die Klinke in die Hand. Eröffnet wurde der Ball in der Wiener Hofburg – dem österreichischen Äquivalent zum Schloss Bellevue – vom dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf (FPÖ). Dass ein Staatsoberhaupt Österreichs die Rechte Europas am Jahrestag der Auschwitz-Befreiung zum Tanz einlädt („Austrian far right celebrates on Holocaust holiday“ fasste CBS-News kurz und bündig zusammen), ist symbolisch für ein Land, in dem rassistische und antisemitische Vorstellungen weit verbreitet sind und ein ausgeprägter Geschichtsrevisionismus (Österreich als erstes Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands) bis heute vorhanden ist. All dies trifft in Österreich auf eine schon immer relativ schwache Linke; was auch die Bezeichnung der 1968er Bewegung als „heiße Viertelstunde“ (Frankfurter Rundschau) verdeutlicht.
Inhaltliche Stossrichtung
In der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg tritt deutlicher zu Tage was zuvor schon der Fall war: der kapitalistische Normalbetrieb und reaktionäre Ideologien gehen Hand in Hand.
Der Ton wird rauer und die Weltmarktkonkurrenz schärfer. Der kapitalistische Reichtum wird universell produziert, aber immer noch privat und national angeeignet. Deshalb gilt die erste Sorge auf der stürmischen See des Weltmarktes dem „eigenen“ Boot und Standort. Dann wird es zur nationalen Tugend, „den Gürtel enger zu schnallen“, um auf dem Weltmarkt zu bestehen; den „Verlierer_innen“ wird noch hinterher gerufen: „Selbst Schuld, verkauft doch eure Inseln!“ oder auch „Das Boot ist voll“ – und Platz ist nur noch für hochqualifizierte Matros_innen!“. Sozialchauvinismus und Rassismus sind Fixpunkte einer ideologischen Rationalisierung, um nicht für die Schulden der in der allgemeinen Konkurrenz Untergegangenen aufkommen zu müssen. Vor diesem Hintergrund ist der Erfolg reaktionärer Einstellungen zu erklären, der sich durch den von Parteien wie z.B. der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) artikuliert. In diesen kalten Zeiten wird es kuschelig warm im nationalen Interesse. Dabei wird gerne übersehen, dass sich am Ende des Tages doch immer wieder die Frage stellt, wer im gemeinsamen Boot rudern muss, und wer nicht. In diesem Sinne war unsere Mobilisierung gegen den WKR-Ball in Wien ein Versuch, die reaktionären Interpretationen der Krise ins Visier der Kritik zu nehmen – einer Kritik, die Staat, Nation und Kapital endlich auf den „Müllhaufen der Geschichte“ befördern will.
Vorfeld
…umsGanze! beteiligte sich an Aktionen gegen den Ball mit einer eigenen Mobilisierung: unter anderem mit einem Mobi-Video, zahlreichen Infoveranstaltungen, Pressearbeit und mehreren Bussen (Bremen/Hannover, Frankfurt (Main) und Berlin), um möglichst vielen Menschen zur Teilnahme an den Gegenprotesten zu verhelfen. Diese Bemühungen wurden auch von den Medien anerkannt: „Für die lange Reise – die er verschlief – hätten die Organisatoren des kommunistischen ‚Ums Ganze‘-Bündnisses 25 Euro verlangt. ‚So günstig kommt man nicht einmal mit Ryan-Air wohin’.“ (Die Presse) Das österreichische Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) warnte daraufhin schon mal vor den „Demo-Touristen“ aus Deutschland und der „heißesten Veranstaltung der vergangenen Jahre“ (Die Presse). Auch wenn die Mobilisierung aus Deutschland einen Erfolg darstellt, bleibt jedoch festzuhalten, dass es vor der Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch in Dresden und dem aktuellen Skandal um die rassistischen Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) nicht möglich war, den WKR-Ball zum hot topic zu machen.
Anders in Österreich: Der WKR-Ball war landesweit das Thema. Dass der Ball in Österreich mittlerweile ein solches hot topic geworden ist lässt sich durch die link(sradikale)n Kampagnen der letzten vier Jahre, die kontinuierlich von autonomer Seite geführt wurden, erklären. Die Medien berichteten schon im Vorfeld ausführlich über den WKR-Ball und die bevorstehenden Proteste. So gelang es immer wieder, linksradikale Positionen einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. In vielen wichtigen landesweiten Zeitungen (z.B. Der Standard, Die Presse) wurde die antinationale Mobilisierung thematisiert und auch die Internetseite von …umsGanze! wurde direkt verlinkt. Dies ist umso bemerkenswerter, da es neben der gemeinsamen Mobilisierung von antifanet und …umsGanze! noch weitere Initiativen gegen den Ball gab: ein zivilgesellschaftliches Bündnis (Jetzt Zeichen setzen) sowie ein anderes linkes Bündnis (Offensive gegen Rechts). Zum ersten Mal regte sich gegen den WKR-Ball ein solch breit organisierter Protest. Dies ist wiederum ein ganz klarer Erfolg der autonomen, linken Arbeit der letzten Jahre, die es endlich schaffte, den reaktionären rechten Ball aus seiner öffentlichen Grabesruhe zu hieven.
Dies zeigt deutlich, wie wichtig es für eine linksradikale Bewegung ist, sich zu organisieren – und dies kontinuierlich. Für …umsGanze! zeigte sich, dass eine antinationale Organisierung mit Kontinuität und Struktur es ermöglicht, den Wirkungsgrad der eigenen Inhalte und Politik insgesamt zu erhöhen und an vergangene Erfolge anzuknüpfen, und dies für zukünftige Projekte zu nutzen.
Der Tag
Die Stimmungsmache des Verfassungsschutzes im Vorfeld (siehe Berichte Die Presse, Kurier) zeigte Wirkung: Ein Bus aus Frankfurt/Main wurde von einem martialischen Polizeiaufgebot bei Salzburg gestoppt und mehrere Stunden lang aufgehalten. Der komplette Bus wurde durchsucht – wie auch alle Reisenden, die sich einer Identitätsfeststellung unterziehen mussten. Ebenso gab es einige Hinweise darauf, dass die noWKR-Demo – wie in den letzten Jahren – verboten werden sollte.
Aufgrund der Konzentration auf möglicherweise notwendige Alternativpläne war die Demonstration zu Beginn work in progress. Dennoch: 1.800 Antifaschist_innen beteiligten sich an der noWKR-Demo – somit stellt diese den größten linksradikalen Protest in Wien seit Jahren dar. Dies ist definitiv ein immenser Erfolg. Der Demonstrationszug hatte einen kämpferischen Charakter, was auch das Interesse der Medien deutlich anzog. „Dicht zusammengedrängt und versteckt hinter Spruchbändern warfen sie Knall- und Leuchtkörper. Die Showeffekte waren dabei größer als das Gefahrenpotenzial für die zahlreichen Schaulustigen, die dem Spektakel auf Wiens größter Einkaufsstraße – teils in Sicherheitsabstand, teils leicht amüsiert – bei wohnten. Es schien fast so, als ob der berüchtigte Schwarze Block aus Deutschland die Öffentlichkeit förmlich suchte. Bereitwillig posierten die Vermummten für fast 100 akkreditierte Journalisten, Fotografen und Kameraleute, entrollten Plakate […]“. (Die Presse) In Wien hat offensichtlich das Konzept des Black Blocks schon aus Gründen der Öffentlichkeitsarbeit Sinn gemacht. Die Medienberichte waren sehr ausführlich und breit gestreut: neben allen österreichweiten Zeitungen gab es einige Berichte in internationalen Medien wie Tagesschau, Spiegel online, L‘Express, CBS News, BBC, Washington Post, Tagesschau, Spiegel online etc.
Die noWKR-Demo zog mit „Kommunismus – Schalalala“-Rufen und einem Großaufgebot an Pyrotechnik auf dem Heldenplatz ein – direkt vor der Hofburg, in der die Burschis und ihre Fans feierten. Dort fand auch die Kundgebung des zivilgesellschaftlichen Bündnisses statt, die die Demonstrierenden mit beachtlicher Aufmerksamkeit und Applaus empfingen. Auf der Abschlusskundgebung am Heldenplatz waren bis zu 10.000 Menschen – die mit Abstand größte Manifestation gegen der WKR-Ball bisher.
Ab ca. 21:00 Uhr versuchten verschiedene Gruppen die Zufahrten zur Wiener Hofburg zu blockieren. Dies gelang an einigen Stellen sehr erfolgreich, weshalb der Ball erst mit einer Stunde Verspätung beginnen konnte. Viele Ballbesucher_innen konnten diesen nur mehr unter Polizeischutz erreichen. Währenddessen zerstreuten sich einige Gruppen in der Innenstadt, und es kam immer wieder zum Austausch von handfesten Argumenten – teilweise in unmittelbarer Nähe einer zunehmend „überforderten Polizei“ (Die Presse).
Nebenbei sei noch erwähnt, dass am Tag vor dem Ball die Webseite des Wiener Korporationsrings (WKR) gehackt und mit salutierendem Pony, Fahne und Hymne der UdSSR geschmückt wurde.
All das war für FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Anlass genug, um ernsthaft zu behaupten, die Ballgäste seien „die neuen Juden von heute“. Dass eine solche Aussage, für die „jeder deutsche Politiker zurücktreten müsste“ (ORF), in Österreich zum normalen Ton der FPÖ – einer der größten Parteien des Landes – gehört, zeigt wie weit die völkische Version von Vergangenheitsbewältigung, Nationalismus und Antisemitismus in der österreichischen Gesellschaft noch verbreitet ist.
Resümee
Die diesjährige noWKR-Demonstration war die erste größere Aktion von …umsGanze! in Österreich – und ein großer Erfolg. Es gelang, eine der erfolgreichsten linksradikalen Mobilisierungen der letzten Jahre in bzw. nach Österreich zu starten. Das große Medienecho hat uns positiv überrascht. Dadurch war es mögliche antinationale Positionen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und den Organisierungsansatz von …umsGanze! vorzustellen. Von so viel Aufmerksamkeit kann …umsGanze! in Deutschland zur Zeit leider nur träumen. Es ist allerdings auch fraglich, inwiefern antinationale Positionen durch kleine Statements in den Medien klar gemacht werden können. Wir denken aber, dass wir immerhin das Interesse bei einigen wecken konnten, und die bestehenden Strukturen in Wien mit diesem Erfolg an die vorangegangenen anknüpfen und weiter aufbauen können.
Die Proteste gegen den WKR-Ball haben insgesamt zu einer Verschiebung der gesellschaftlichen Stimmung beigetragen. Unabgegolten aber bleibt unsere Kritik: denn das Problem ist nicht, dass der WKR-Ball in der Wiener Hofburg stattfindet oder dass dieser dem Standort Österreich in der Welt schadet. Unsere Kritik richtet sich nach wie vor gegen den alltäglichen Skandal namens Kapitalismus – und somit gegen gesellschaftliche Verhältnisse, die Sozialchauvinismus und Nationalismus wie auch Rassismus und Antisemitismus hervorbringen, und für viele Menschen leider immer wieder aufs Neue plausibel erscheinen lassen.
Den Schwung aus Wien möchten wir daher auch für die nächste Aktion „M31 – European Day of Action against Capitalism“ mitnehmen, um dort unsere Kritik am kapitalistischen Normalzustand - der eben Krisen einschließt – auf europäischer Ebene deutlich zu machen. Infos dazu findet ihr auf http://march31.net!
Wir bedanken uns bei allen, die die noWKR-Demo unterstützt und ermöglicht haben, und ganz besonders bei unserer Bündnis-Gruppe autonome antifa [w]. Sollte der reaktionäre WKR-Ball nächstes Jahr noch immer nicht auf dem „Müllhaufen der Geschichte“ angekommen sein, werden wir gerne wieder deutlich machen: We don’t feel like dancing!
Hoch die antinationale Solidarität!