Ein Redebeitrag der Gruppe Redical M aus Göttingen, organisiert im kommunistischen Bündnis „umsGanze!“
Die Krise des Kapitalismus und seiner Staaten ist längst chronisch. Über Wasser hält sie nur ein permanenter Ausnahmezustand, die Generalmobilmachung der StaatsbürgerInnen im Dienst von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Gesellschaftlich produzierte Armut ist in den reichen Westen zurückgekehrt und wird zunehmend als Problem wahrgenommen. Während die EU ihre neoliberale Ordnung autoritär absichert, wird Herrschaft zugleich rationaler, verrückter und brutaler. Im Ringen um Märkte und staatsbürgerliche Privilegien wird jedes Leben nach Verwertbarkeit und Herkunft sortiert, überall nehmen Sozialchauvinismus und Rassismus zu. Umso unerbittlicher schützt sich die Festung Europa gegen die Folgen ihrer eigenen Ausbeutungsordnung. Hunderttausende Menschen sterben Jahr für Jahr durch die Verwüstungen des postkolonialen Kapitalismus, tausende beim Versuch ihnen zu entkommen, hunderte direkt vor den Augen der europäischen Flüchtlingsabwehr Frontex. Doch es zeigen sich auch Risse in der Ordnung des Kapitals, Versuche und Irrtümer sozialer Selbstermächtigung inmitten einer enteigneten Gesellschaft. Das Ende der Geschichte ist vorbei. Doch etwas Besseres wird es nur geben, wenn wir soziale Kämpfe antikapitalistisch führen und europaweit verbinden – gegen die Sachzwänge der Verwertung, gegen den Vormarsch der Standortameisen, Rassisten und Neofaschisten aller Länder. Für einen internationalen Antinationalismus.
Denn: Gerade in Deutschland und Österreich bleibt es wie immer ruhig. Die Krise der Anderen, wie in Griechenland, wird mit reichlich Leistungs- und Leidensstolz genossen. Die Tripple-A-Kreditwürdigkeit des eigenen Staates erscheint als persönlicher Verdienst. Kennzeichnend für diese Entwicklung ist das Regime der Jobcenter. Obwohl kaum reguläre Arbeitsverhältnisse zu vergeben sind, erniedrigt es Menschen über Jahre zu katzbuckelnden Bittsteller*innen durch erniedrigende Kontrollen persönlicher Lebensverhältnisse, willkürliche Beratungs- und Bewerbungsauflagen, blödsinnige „Maßnahmen“ und immer öfter durch disziplinarische Kürzungen am ausgezahlten Existenzminimum. Um den Spitzeleien des Amts zu entkommen, akzeptieren immer mehr Menschen Arbeitsverhältnisse im wachsenden Dumpinglohnsektor der Deutschland-AG. Zum kulturellen Leitbild wird der Sozialchauvinismus durch voyeristissche Fernsehformate mit schnüffelnden „Sozialermittlern“ und „Schuldenberater Peter Zwegat“ genießt eine ganze Generation die Erbarmungslosigkeit von Staat und Kapital als Abendunterhaltung.
Krisennationalismus und Rassismus
Nationalistische und rassistische Ausgrenzung haben mit der Krise drastisch zugenommen. Ihre Formen sind so widersprüchlich, wie die Architektur der EU selbst: Die deutsch-österreichische Hetze gegen „Pleitegriechen“ und der unterstellte „südländische“ Schlendrian sind unmittelbar mit Sozialchauvinismus und kapitalistischer Arbeitsideologie verknüpft. . Die rechtspopulistische Hetze stützt sich vor allem auf die Ideologie eines abendländischen, angeblich „christlich-jüdischen“ Kulturraums. Im Rahmen der kulturalistischen Ideologie wird Europa als homogener geografischer Raum betrachtet, der eine eigene Kultur entfaltet habe und sich im Kampf gegen andere vermeintliche Kulturen befinde.
Als Kulturfeind Nummer 1 gilt dabei die islamisch geprägte. Durch Migrationsbewegungen seien die sozialen Probleme aus der islamischen Kultur importiert worden. Sie könnten durch ihre Kultur bestimmt nicht richtig arbeiten und hielten nichts von den deutsch-europäischen Tugenden.Ihr antimuslimisches Ressentiment zieht eine geografische und soziale Grenze, die recht genau dem Territorium der EU und den Bedrohungslagen der gefährdeten Mittelschicht entspricht. Der Wiener Akademikerball offenbart die ideologische Verschränkung von rechter Straßengewalt, institutionellem Rassismus und dem Alltagsrassismus der Mehrheitsgesellschaft. Er steht für eine Gesellschaft, die „Vielfalt“ zum Leitbild erklärt, aber nach Verwertungsinteressen sortiert. Modern am modernisierten Rassismus ist nicht seine Toleranz gegenüber den Leistungsträger*innen aller Länder, sondern die Flexibilität, mit der er Integration und Ausgrenzung organisiert. Der völkische Nationalismus und Rassimus wird überlagert durch kulturalistische Rassismen und nationale Identitäten, die in den Gesellschaften anschlussfähiger werden. Menschen werden je nach ökonomischem und ideologischem Bedarf als „ausländische Fachkräfte“ oder kulturfremder Kostgänger vorführt. Der Karneval der Kulturen und die fortdauernde Diskriminierung von Millionen Menschen durch rassistische Sondergesetze, Polizei und Ausländerbehörde sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Was tun? Heute rücken wir den deutschnationalen Burschis und FPÖ-Fatzken beim Wiener Akademikerball auf die Pelle. Doch damit ist es nicht getan: der Gesamtzusammenhang von Staat, Nation und Kapital muss im Fokus der Kritik stehen, die Grundprinzipien des Kapitalismus können nicht irgendwie hintergangen werden, genausowenig kann ihnen ein anderer Inhalt übergestülpt werden.
Der Kapitalismus selbst ist das Problem, dass es abzuschaffen gilt. Für eine befreite Gesellschaft.