Arbeit! Arbeit! Arbeit!
Ob als »individuelle Sinnstiftung«, als »Grundlage des Wohlstandes« oder als »Weg zur Selbstverwirklichung« – bei kaum einem Thema herrscht hierzulande so viel Einigkeit wie beim Thema »Arbeit«. Die Menschen in Lohnarbeit zu bringen scheint nicht nur volkswirtschaftlich notwendig, sondern auch menschlich geboten. Quer durch alle Parteien, von DGB bis Arbeitgeberverbänden, von der taz bis zur FAZ – das nationale Bündnis für Arbeit steht. Bemerkenswerte Konflikte gibt es im Moment allein darum, zu welchen Bedingungen und auf wessen Kosten »die Arbeit« geschaffen werden kann. Wo die Sozialdemokraten verschiedener Parteien »gute Arbeit« schaffen möchten, verweisen Westerwelle und Koch auf die angeblich prekäre Lage des Standortes auf dem Weltmarkt und möchten den Lohnabhängigen daher einen Großteil der Kosten ihrer Arbeit auferlegen. Dabei können sie sich auf den, auch von einigen Linken geteilten, Konsens berufen, dass Lohnarbeit die natürliche Basis des Lebens sei und jenseits davon – gesellschaftlich wie individuell – nur Armut, Faulheit und Depression zu haben ist. Unter den entsprechenden konjunkturellen Bedingungen ist es zur »realistischen Sicht«, dass selbst schlechte Arbeit doch besser als gar keine sei, dann nicht mehr weit.
Auch die radikale Linke frönt zu oft noch diesem Arbeitsfetisch, wenn sie – oldschool mit Klassenkampfparolen oder postmodern im Sinne flexibler Selbstverwertung – etwa den 1. Mai zum »Kampftag« erklärt und für einen »gerechten Lohn« oder »selbstbestimmte Arbeit« eintritt.
Gegen diese ideologische Verklärung der Lohnarbeit rufen wir anlässlich des 1. Mai dazu auf, die Lohnarbeit als Produkt und Voraussetzung der Zwänge des globalen Kapitalismus zu begreifen und das nationale Bündnis für Arbeit zu sabotieren. Alle Aktionen, die wir am und um den 1. Mai unternehmen, stehen dabei unter dem Imperativ: »Keinen Finger krumm für diese Gesellschaft!«.
Das ist doch (nicht) normal…
Noch in jeder menschlichen Gesellschaft mussten sich die Menschen ihre nötigen Güter und Lebensmittel in der Umformung der Natur durch Verausgabung von Hirn-, Muskel- und Nervenkraft aneignen. Im Kapitalismus hat diese menschliche Tätigkeit eine ganz bestimmte Form angenommen. Zwar sind die technischen Möglichkeiten der Menschheit hier im Vergleich zu vorherigen Gesellschaften ins Unermessliche gestiegen. Gleichzeitig sind Technik und Menschen jedoch beherrscht von kapitalistischen Verhältnissen, die ihnen eine eigene Form aufdrücken: Die Lohnarbeit.
Denn Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums wird auch im Kapitalismus nicht durch die vernünftige Aushandlung der verschiedenen menschlichen Bedürfnisse und die entsprechende Ausnutzung der Technik geregelt. Vielmehr basiert die kapitalistische Reichtumsproduktion darauf, dass sie vermittelt wird über die Abstraktion von eben diesen Bedürfnissen. Die Allgemeinheit der menschlichen Gesellschaft stellt sich hier nicht real durch Aushandlung, sondern durch die abstrakte Vermittlung via Lohnarbeit und Tausch her. Erfolgskriterium der Produktion sind nicht die Bedürfnisse der Menschen, sondern der Profit. Dessen Grundlage aber ist die Arbeitszeit, in der ihr Inhalt grundsätzlich egal ist. Es spielt hier also keine besondere Rolle ob Medikamente hergestellt oder Anti-Personenminen gebastelt werden. Denn alle müssen in der Konkurrenz gegen alle anderen so viele Zeiteinheiten wie möglich durch Lohnarbeit einhamstern um ihre eigenen Bedürfnisse überhaupt – im Tausch mit Anderen – befriedigen zu können. Schließlich sind die meisten Menschen durch das staatlich garantierte Recht auf Privateigentum »frei« von der Entscheidung über Einsatz der Produktionsmittel und müssen daher zum Leben ihre Arbeitskraft auf dem Markt anbieten. Diese Arbeitskraft hat unter den bestehenden technischen Möglichkeiten zwar den Vorteil, dass sie in derselben Zeit mehr herstellen kann, als zu ihrer Wiederherstellung nötig ist. Gemessen wird der Wert der Lohnarbeit jedoch eben nicht in erster Linie daran, ob sie möglichst angenehm ist und menschliche Bedürfnisse befriedigt, sondern ob sie sich auf dem Markt verkaufen lässt. Damit aber verkehrt sich der eigentliche Zweck der Produktion – die Bedürfnisbefriedigung mit Gebrauchswerten – ins bloße Mittel. Der Zweck kapitalistischer Produktion ist so für das Kapital der Profit und für die davon anhängigen ArbeiterInnen der Lohn; die Produktion nützlicher Güter ist nur das Mittel dazu. Ein solches, durch den Tausch Arbeitskraft gegen Geld ermöglichtes Gesellschaftsverhältnis degradiert die menschliche Arbeitskraft selbst zur Ware, die vergleich- und beliebig austauschbar ist mit anderen Waren. So wird durch den Tausch Arbeitskraft gegen Geld ein Kreislauf am Leben erhalten in dem die Produktion zur Profitmehrung im Vordergrund, menschliche Bedürfnisse hingegen im Hintergrund stehen. Anstatt Lohnarbeit zum »normalen Bedürfnis« und »Sinn des Lebens« zu verklären und damit die praktische Unterordnung menschlicher Bedürfnisse unter die Zwänge von Warenproduktion, Konkurrenz und Tausch noch ideologisch zu verdoppeln, ist Lohnarbeit als spezifisch kapitalistische Zumutung abzulehnen.
Freizeit für wen? Und von was?
Auch wenn Lohnarbeit also nichts Natürliches ist, übt sie unter kapitalistischen Bedingungen einen gesetzartigen Zwang auf alle Bereiche der Gesellschaft aus. Denn die Lohnarbeit schafft den gesellschaftlichen Zusammenhang nur als eine strukturelle Trennung von wertbildender, abstrakter Produktion und konkreter, privater Reproduktion der Menschen. Durch die kapitalistische Aufspaltung allen menschlichen Tuns in konkrete, nützliche Mittel und abstrakte aber »wertbildende« Zwecke bleiben erstere nicht unberührt. So lässt die kapitalistische Form der Produktion selbst die immer zu kurze »Freizeit« nicht aus. Sie wird vielmehr definiert als die bloße Abwesenheit von Lohnarbeit. Der Freizeit kommt die Aufgabe zu, die zu Arbeitskraftbehältern degradierten Menschen physisch wie emotional wieder aufzuladen. Den Freizeitaktivitäten von »Feiern zu Techno« bis »Wandern im Harz« haftet im Kapitalismus deshalb immer auch der verbissene Wille an, sich nun aber wirklich »mal locker machen« zu müssen, um sich auch in Zukunft optimal verwerten lassen zu können.
Darüber hinaus ist die Trennung menschlichen Tuns in die abstrakte Wertbildung durch Lohnarbeit und die konkrete Reproduktion der Existenz ein Ansatzpunkt für sexistische und rassistische Rollenbilder, wie beispielsweise die Vorstellung »weiblicher Emotion« und »männlicher Rationalität«. Denn Sexismus und Rassismus gruppieren sich um die tatsächliche Aufspaltung der Eigenschaften menschliche Existenz entlang der Linie von abstrakter, wertbildender Lohnarbeit und konkreter Reproduktion der Einzelnen im Kapitalismus herum. Bestimmte Emotionen und Verhaltensweisen werden dann anhand von angeblichen Geschlechter- oder Kulturgrenzen aufgeteilt. Das hat ganz praktische Auswirkungen: Die Festlegung von Menschen auf angeblich natürliche Lebensperspektiven und Tätigkeiten sowie tausendfache Diskriminierung in Mitten der kapitalistischen Gleichheit. Die Gewalt jedenfalls, die die Entwicklung einer mit der Lohnarbeit konformen Identität für jede/n Einzelne/n bedeutet, ist noch der bemühten Abfeierei der Lohnarbeit in Medien und Politik anzumerken.
Die strukturelle Spaltung von notwendiger, aber »wertloser« Reproduktion im Privaten und abstrakter, wertbildender Lohnarbeit mit öffentlicher Anerkennung bleibt ein grundsätzliches Zwangsmerkmal menschlicher Existenz im Kapitalismus. Die konkrete Gestalt dieser strukturellen Trennung mag zwar, wie Alice Schwarzer und die FreundInnen des Gendermainstreaming immer wieder triumphierend feststellen, veränderbar sein. Doch dass inzwischen auch Frauen ihre Arbeitskraft verkaufen dürfen und Reproduktionsarbeiten, wie z.B. Kinderhüten, kommerzialisiert werden, führt eben nicht zur Auflösung von Geschlechterrollen und auch nicht zum Verschwinden geschlechtlicher Ungleichbehandlung. Vielmehr führt es dazu, dass die gesellschaftlich notwendigen, aber als minderwertiger angesehenen, »weiblichen“ Tätigkeiten zunehmend an migrantische Frauen outgesourct werden. Das zeigt, dass – egal was Grüne, DGB, etc. auch sagen – es wird nicht gut werden, wenn nur »weiter Kurs auf Gleichberechtigung« (8. Märzaufruf DGB) gehalten wird. Denn das Problem ist nicht, dass das Ideal kapitalistischer Gleichheit hier und da noch nicht eingelöst wird, sondern dass es im Kapitalismus gar nicht eingelöst werden kann. Die abstrakte Gleichheit kapitalistischer Lohnarbeit realisiert sich notwendigerweise durch konkrete Ungleichheiten: Sowohl zwischen den realen Einkommens- wie den angeblichen Kultur- und Geschlechtergrenzen. Die identitäre Spaltung der Menschen in verschiedene Rollenbilder ist in jedem Fall die kapitalistische Wirklichkeit des bürgerlichen Ideals »gleicher Arbeit« und »verdienter Freizeit«.
Der Staat als Garant der Krise
Die technischen Möglichkeiten sind im Zuge der kapitalistischen Entwicklung sprunghaft angestiegen und dank Maschinen und Robotern ist es heute möglich mit einer Arbeitskraft mehr zu produzieren als früher mit zehn. Das stellt den Kapitalismus immer wieder vor Probleme. Denn es braucht zwar faktisch weniger Arbeitsaufwand, gleichzeitig ist und bleibt die Lohnarbeit jedoch die einzige Wert-Quelle kapitalistischer Produktion und damit auch die Grundlage ihres gesellschaftlichen Überlebens. Wenn also durch technischen Fortschritt weniger Arbeitskräfte gebraucht und diese entlassen werden, entsteht die paradoxe Situation, dass mehr Produkte weniger kaufkräftigen Konsumenten gegenüberstehen: Es gibt eine Überproduktionskrise. Hier springt der Staat ein. Sein Überleben hängt über Steuern selbst davon ab, dass die Wirtschaft läuft und Profit abwirft. Jeder Staat steht daher aus eigenem Interesse mit anderen Staaten auf dem Weltmarkt in Konkurrenz darum, einen möglichst großen Teil der global produzierten Wertmasse in seinen »Standort« zu lenken. Deswegen kann der Staat sich nicht damit begnügen, nur die äußeren Rahmenbedingungen der Verwertung der Arbeitskraft mit Polizei und Justiz zu sichern, in dem er die selbstzerstörerische Konsequenz kapitalistischer Konkurrenz – Mord und Totschlag – als unlautere Geschäftsmethoden verbietet und Rechtssicherheit herstellt. Vielmehr muss der Staat auch durch aktive Politik die gegensätzlichen Interessen in seinem Einflussbereich so moderieren, dass die Wirtschaft brummt. Die Maßnahmen reichen dabei von der finanziellen Unterstützung von angeschlagenen Unternehmen und Banken bis zur Bildungs- und Sozialpolitik. Über die richtige Mischung zwischen marktwirtschaftlichen und staatlichen Anteilen tobt zwar der politische Streit, zur Debatte steht allerdings stets nur wie – nicht ob – eine auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige Verwertung der nationalen Arbeitskraft organisiert werden soll.
Zudem leiden die Lohnabhängigen unter einem strukturellen Wettbewerbsnachteil. Ihre Lohnarbeit ist zwar die eigentliche »Quelle des Reichtums«. Im Gegensatz zu globalen Unternehmen sind ihre Möglichkeiten den Staat unter Druck zu setzen und ihm soziale Wohltaten abzutrotzen aber sehr begrenzt. Denn verteilt werden kann ja einerseits nur, was auf dem Weltmarkt verdient wird und anderseits sind die lebenden Lohnabhängigen nicht so mobil wie das Kapital. Sie können daher selbst in kapitalistischen Demokratien nur als besseres Management oder militanter Störfaktor Bedeutung erlangen. Wenn die Konjunktur lahmt, geraten dementsprechend die (legalen) Interessensvertretungsmöglichkeiten jener Lohnabhängigen, die ersetzbar sind, schnell in die Krise. Von dem Ausmaß der kulturellen Disziplinierung und des »sozialen Friedens« hängt es dann ab, ob doch mal der Boss gekidnappt wird oder »Ruhe und Ordnung« wichtiger sind als wenigstens eine Abfindung bei Jobverlust. Der Klassenkampf für eine angemessene Bezahlung der Ware Arbeitskraft ist in diesem Sinne zwar stets notwendig, er bleibt aber selbst mit militanten Mitteln im Kapitalismus »nur« ein Kampf ums Überleben unter den Zwängen von Markt und Staat. In jedem Fall ist die Sorge des Staatspersonals um das Wohlergehen der Lohnabhängigen ein doppelter Zynismus. Denn zum einen zwingt sie ja erst die staatliche Garantie der falschen Freiheit, also der Freiheit vom Besitz an Produktionsmitteln, in die Situation ihre Arbeitskraft verkaufen zu müssen um zu leben. Zum anderen werden sie als Lohnabhängige dann zum Objekt unterschiedlicher staatlicher Strategien, die sie kapitalproduktiv und staatsloyal machen sollen. Auch wenn sich eine Vielzahl der Lohnabhängigen bereitwillig selbst vor den Karren nationaler Interessen spannt, interessieren sie dabei doch nie als Menschen, sondern primär als Humankapital.
Das war auch früher nicht anders. Gegen die Verklärung des »guten alten Sozialstaates« der fordistischen Epoche (in der das Studieren noch kosten- und das Überleben mit Sozialhilfe für Deutsche noch bedingungslos war) ist festzuhalten, dass auch seine vermeintlichen Wohltaten unter kapitalistischen Zwängen standen. Das heißt, sie alle waren – egal ob New Deal in den USA oder die soziale Marktwirtschaft in der BRD – national begrenzt und basierten dementsprechend auf der Ausgrenzung und Illegalisierung der Menschen aus anderen Teilen der Welt. Außerdem setzten sie disziplinierte Lohnabhängige voraus, die sich ihr standardisiertes Reihenhaus-Glück mit politischer Loyalität und dem frohen Schuften für den Weltmarkterfolg des nationalen Kapitals erkauften. Das nationale Arbeitsregime des aktuellen Kapitalismus, das in England schon früher von New Labour und in der BRD erst mit Hartz IV und der Agenda 2010 final von Rot-Grün durchgesetzt wurde, ist demgegenüber aus staatlicher Sicht tatsächlich kein »Sozialabbau«. Vielmehr handelt es sich um einen Umbau der sozialpolitischen Werkzeuge des Staates, mit denen auf die veränderten technologischen Möglichkeiten und Wettbewerbsbedingungen auf dem Weltmarkt reagiert wird. Das neue Paradigma des »Fördern und Forderns« von Hartz IV, dass staatliche Unterstützung an eine ganze Reihe von Schikanen und Bedingung knüpft, verfolgt dabei u.a. das Ziel, auch die Teile der Gesellschaft für den kapitalistischen Wettbewerb mobilisiert zu halten, die zum großen Teil gar nicht mehr gebraucht werden. Und die Menschen, die noch Lohnarbeit haben, sollen dazu gebracht werden, daran auch unter noch so miesen Bedingungen festzuhalten. Je überflüssiger die Lohnarbeit gemessen an den technischen Möglichkeiten für ein gutes Leben der Menschen wird, desto eher erklärt der Staat also die Menschen selbst für überflüssig und zwingt sie zu immer prekäreren Bedingungen in Lohnarbeit. Nur gegenüber dem Elend in jenen Regionen der Welt, die vom Weltmarkt schon komplett abgehängt worden sind, kann das noch als kleineres Übel verkauft werden. All diese Entwicklungen zeigen eins: Der Staat löst die Krisen der kapitalistischen Lohnarbeitsgesellschaft nicht – er garantiert sie.
»Ich sehe was, das du nicht siehst« (populäres Kinderspiel)
Die kapitalistische Gesellschaft fällt also in verschiedene Gegensätze, wie Produktion und Reproduktion oder auch Staat und Markt auseinander, lässt sich aber nur als notwendiger Zusammenhang dieser Widersprüche sinnvoll verstehen. Denn kein Markt ohne die staatliche Garantie von Eigentum und Tausch, keine Lohnarbeit ohne die Reproduktion der Arbeitskraft und auch keine erfolgreiche Produktion ohne den Kauf und Verkauf der Waren auf dem Markt. In den alltäglichen Ansichten der Leute kommen diese Einsichten in das Wesen des Kapitalismus jedoch nur selten zum Zuge. Denn die widersprüchlichen Praxisformen des Kapitalismus produzieren aus sich selbst heraus stets die Ideologie von angeblich unabhängigen Teilbereichen der Gesellschaft, die deren gemeinsamen Ursprung in den Funktionsbedingungen des Kapitalismus verschweigt. Deswegen erscheint z.B. staatliche Politik vielen Menschen als das Korrektiv des kapitalistischen Marktes und als Hüter des Allgemeinwohls gegen den bornierten Egoismus Einzelner. Dass es in Wirklichkeit erst die staatliche Garantie der Eigentumsrechte wie die politische Regulation der selbstzerstörerischen Tendenzen der Marktwirtschaft ist, die Selbstzerstörung und Egoismus als Prinzip der gesellschaftlichen Reproduktion überhaupt langfristig möglich macht, fällt dabei unter den Tisch.
Eine ähnliche Verdrehung passiert gerade in der aktuellen Krise in Bezug auf die Lohnarbeit. Da erscheint die Produktion von Waren durch den Verkauf der menschlichen Arbeitskraft in der Lohnarbeit als »real« und der Umgang einiger Banken mit eben diesen Waren auf dem Finanzmarkt als »Spekulation«. Tatsächlich sind die Kredite der Banken jedoch sowohl die Bedingung dafür, bestimmte Formen der Lohnarbeit überhaupt finanzieren zu können. Außerdem werden auf der Grundlage von Marktanalysen Investitionen dahin gelenkt, wo die besten Verwertunsbedingungen zu sein scheinen. Grundsätzlich ist aber jede Produktion einer Ware selbst Spekulation, weil sich immer erst später auf dem Markt herausstellt ob sie verkauft werden kann. Wenn der Automobilmarkt gesättigt ist und trotzdem weiter Autos verkauft werden müssen, ist die Krise im Endeffekt also nicht das Ergebnis windiger Finanzgeschäfte, sondern von Überproduktion, d.h. der normalen Spekulation der »Real-Wirtschaft«. Trotzdem erfreut sich das Lob der Lohnarbeit gegenüber dem Finanzkapital stets einiger Beliebtheit. Nach dem Motto »wer vom Finanzkapital redet, der kann vom Kapitalismus schweigen« ist diese ideologische Verdrehung der Realität von der »demokratischen Mitte« der Gesellschaft bis hin zu Antisemiten und Neonazis gerade in den Krisen des globalen Kapitalismus ein verbreitetes Identitätsangebot. In Deutschland hat es historisch mit der antisemitischen Trennung von »raffendem« und »schaffendem« Kapital seine extremste Ausprägung gefunden. Gleichwohl ist die ideologische Unterscheidung von »guter Lohnarbeit« und »bösen Finanzgeschäften« heute weltweit zu finden. Egal ob die populäre Schelte von »Heuschrecken« in Deutschland oder die mediale Kampagne gegen den Milliardenbetrüger Bernard Madoff in den USA, die ideologische Trennung von Lohnarbeit und Finanzwelt personalisiert stets die Systemzwänge und erklärt dabei das kapitalistische System als Ganzes für unschuldig. Ein falsches Motiv, dass auch in linken Mobilisierungen immer wieder auftaucht und zeigt, wie wichtig eine Kapitalismuskritik ist, die aufs Ganze geht.
The system works ‘cause we work
Das aktuelle Arbeitsregime aus Hartz IV und Leiharbeit, Illegalisierung von MigrantInnen und gewerkschaftlicher Komplizenschaften, nationaler Mobilisierung des Humankapitals, Wissenschaft als Standortfaktor, »Selbstbestimmung« nur als Training für Konkurrenz und Auslese, die präventive Kriminalisierung störender Überflüssiger – all das ist kein Automatismus. Das nationale Bündnis für Arbeit braucht alltägliche Rituale, besondere Symbole und zuverlässige Akteure. Deswegen ist es angreifbar. Soziale Kämpfe, die vielfältige Verweigerung des Mitmachens und die praktische Sabotage des reibungslosen Verwertungsmanagements in Ämtern, Unis, Stadtteilen und Betrieben sind notwendige Voraussetzungen jeder gesellschaftlichen Veränderung hin zu Besserem. Die Gegenüberstellung einer reinen, radikalen Kritik auf der einen und einer im schlechten Sinne realistischen Intervention auf der anderen Seite ist eine Falsche. Sie kann aufgelöst werden in einer konfrontativen Praxis, die sich nicht den Kopf von Staat und Kapital zerbricht. Schon im Alltag können Irritation der Normalität ausgelöst und neue Handlungsmöglichkeiten und Organisierungsansätze ausprobiert werden. Ohne solch eine Praxis reduziert sich auch die radikalste Kritik selbst auf Volkspädagogik und Verbalradikalismus. Damit verewigt sie ihre eigene Bedeutungslosigkeit.
Sich in sozialen Kämpfen nicht den Kopf von Staat und Kapital zu zerbrechen, entbindet aber gleichzeitig keineswegs davon, sich darin das Hirn über die Struktur und Verlaufsformen des Kapitalismus zermatern zu müssen. Zumindest wenn soziale Kämpfe mehr sein sollen, als Teile der Suchbewegung kapitalistischer Modernisierung. Denn Lohnarbeit und Kapital sind so gegensätzlich, wie sie nur verschiedene Momente derselben Reproduktion des Kapitalismus sind. Das heißt, sie sind Teil eines Prozess, der die Menschen als seine notwendigen Anhängsel nur widerwillig mitschleppt und allein ein Ziel kennt: Seine Verlängerung ins Unendliche. Die heute verharmlosend ArbeitnehmerInnen genannten LohnarbeiterInnen müssen in diesem Spiel zwar immer wieder den Kürzeren ziehen, weil die einzige Ware, die sie anzubieten haben (Arbeitskraft) gegenüber dem Kapital strukturell unflexibel ist. Doch auch die Verstaatlichung des Eigentums oder selbst seine teilweise Kollektivierung, z.B. in »autonomen Freiräumen« ändert nichts an diesem Dilemma. Nicht nur die Inhaber des Rechts auf Eigentum, sondern die allgemeine Formen von (Privat-)Eigentum, Tausch und Konkurrenz als Formen der Organisation der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion müssen überwunden werden. Denn es gibt im Kapitalismus kein »revolutionäres Subjekt«, dessen bloße Interessenvertretung eine Emanzipation vom Kapitalismus versprechen könnte. Selbst der militanteste Arbeitskampf ist für sich genommen nicht Vorbote der Revolution, sondern schlicht der im Kapitalismus notwendige Kampf ums Überleben der Arbeitskraft als Objekt und Bedingung kapitalistischer Lohnarbeit. Erst wenn eine andere Form der Reproduktion der Gesellschaft jenseits von Konkurrenz, Tausch und Politik gefunden und verwirklicht ist, halten das Kapital und sein Staat die neue Wirklichkeit nicht mehr aus.
Kommunismus* statt Lohnarbeit
Gegen die falsche Freiheit des Marktes und den staatlichen Zwang zur Lohnarbeit im aktuellen Kapitalismus, wie gegen den Arbeitsfetisch der orthodoxen Linken ist deswegen an der schlichten Erkenntnis festzuhalten: Wer die sozialen Formen von Staat und Nation; Lohnarbeit und Kapital, Eigentum und Tausch nicht durchbricht, der ist – und sei der Wille noch so gut – dazu gezwungen sie zu reproduzieren. Damit aber wird im globalen Maßstab stets eine soziale Dynamik am Laufen gehalten, die nicht nur jede sozialen Errungenschaften und jedes noch so kleine Recht, jedes bisschen Freiheit gegenüber den kapitalistischen Sachzwängen relativiert, sondern selbst diesem bisschen immer wieder die Grundlage entzieht. Am 1. Mai, dem internationalen Feiertag der Lohnarbeit, gibt es daher für eine radikale Linke, die ihre eigenen Ziel ernst nimmt, nichts zu feiern. Stattdessen gilt es die nationalen Inszenierungen des Zwangs zur Lohnarbeit zu stören, wo es geht. Nicht die Befreiung der Lohnarbeit, sondern die Befreiung von der Lohnarbeit steht auf dem Programm. Es umzusetzen wird sicherlich anstrengend, viel anstrengender wäre es jedoch weiterhin einfach am nervtötenden Hamsterrennen des Kapitalismus teilzunehmen.
Gegen die so menschenverachtende wie krisenhafte Dynamik des Kapitalismus setzen wir daher die Vision einer kommunistischen Gesellschaft, in der nicht staatliche Zwecke oder die Zwänge des Marktes, sondern die menschlichen Bedürfnis der Maßstab der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums sind. Berufen können wir uns dabei auf mehr, als nur unsere Abneigung gegen das Mitmachen im kapitalistischen Rennen, Rackern, und Rasen. Nämlich die Einsicht in die durch den Kapitalismus entwickelte Möglichkeit einer ganz anderen, kollektiven Organisation der gesellschaftlichen Reichtumsproduktion. Ihre Realisierung scheitert heute nicht an ihrer technischen oder gar »natürlichen« Unmöglichkeit, sondern allein an der Herrschaft der verselbstständigten Formen von Staat, Lohnarbeit und Kapital, die alle immer wieder ins kapitalistische Hamsterrad zwingen. Wenn es ums Ganze geht, geht es in diesem Sinne um die banale Einsicht, dass der Kommunismus heute das Einfache ist, das auch einfach zu machen wäre.
Staat. Nation. Kapital. Scheiße.
Keinen Finger krumm für diese Gesellschaft!
Für den Kommunismus*!
Alle zur revolutionären Demo „Endlich wird die Arbeit knapp… Gegen Lohnarbeit, Leistungsterror und Konkurrenz – Kapitalismus abschaffen“!
30.4.2010 / 19 Uhr / Galluswarte / Frankfurt/Main
*Kommunismus meint nicht Staatssozialismus a la Sowjetunion und DDR. Mit anderen Worten: »Die Herrschaft von Staat und Kapital, die kapitalistische Ausbeutung samt ihrer wiederkehrenden Krisen abzuschaffen zu Gunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft – über diesem Programm steht für uns der Begriff des Kommunismus. Eine kommunistische Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die ihre Zwecke bewusst bestimmt und ihre produktive Naturaneignung solidarisch einrichtet, anstatt sich von den Zwängen und Krisen der Verwertung, des Privateigentums oder des Staates herumschubsen zu lassen. In der – anders als in der bürgerlichen Gesellschaft – »die Freiheit des Einzelnen die Voraussetzung der Freiheit aller ist«. Eine Gesellschaft, zu der »jeder nach seinen Fähigkeiten« beiträgt, und »jedem nach seinen Bedürfnissen« geschieht (Marx). (…) Dieses Programm ist in einem banalen Sinn »utopisch«: Es lässt sich in der bestehenden Gesellschaftsordnung beim besten Willen nicht konstruktiv einbringen. Aber es verdient auch nicht den Argwohn derer, die beim Begriff des Kommunismus nur an Gulag und autoritären Staat denken«. (Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen Freiheit, Umsganze 2009)