Gestern autonome antifa, heute kritik&praxis.

Im Folgenden dokumentieren wir die Erklärung der ehemaligen autonomen antifa [f] zu ihrer Umbenennung in Kritik&Praxis.

 

Erklärung zur Neubestimmung von Form und Inhalt einer linksradikalen Gruppe aus [F]rankfurt am Main

Ach (…), wer bin ich denn schon groß,
Ich bin ein Schwein auf einem Floß,
Auf einem Floß im Strom der Zeit,
Ein Sinnbild der Vergänglichkeit,
Ein Punkt im Raum, ein Nichts im Sein.
War da je Strom, je Floß, je Schwein?
(Robert Gernhardt)

So schnell kann es gehen. Gerade noch 10jähriges Bestehen gefeiert und jetzt das: Nach über zehn Jahren bundesweiter politischer Arbeit als autonome antifa [f] machen wir einen Neustart. Das heißt, es gibt einen neuen Namen und ein neues Konzept. Als kritik & praxis – radikale linke [f]rankfurt werden wir in Zukunft weiterhin versuchen, eine antinationale Kapitalismuskritik, der es ums Ganze geht, zu entwickeln und lokal, bundesweit sowie im internationalen Rahmen praktisch zu machen. Allerdings mit einem klareren Fokus und auch einer neuen Arbeitsstruktur. Hintergrund dieser Entscheidung ist ein mehrmonatiger Diskussionsprozess, aus dem wir uns hiermit offiziell zurück melden und dessen Ursachen und Folgen wir in diesem Statement transparent machen wollen.

Entgegen mancher Gerüchte, Befürchtungen und verfrühter Erfolgsmeldungen war und ist dies kein Prozess des Zerfalls, sondern – eher im Gegenteil – ein lang diskutierter Versuch, die Gruppe kollektiv in Richtung eines neuen Selbstverständnisses und veränderter Ansprüche zu bewegen. Es liegt ein wenig in der Natur der Sache, dass das Ergebnis solch eines Prozesses leider nicht mehr für alle attraktiv ist und in jedem Fall alle Beteiligten einiges an Nerven gekostet hat. Wir sind jedoch zuversichtlich, dass das Ergebnis für die linksradikale und antifaschistische Zusammenarbeit in Frankfurt und darüber hinaus letztlich ein positives ist.

Wir wollen die Gelegenheit hier aber zuerst einmal nutzen, um uns bei all denen zu bedanken, ohne die es diese Gruppe niemals so lange hätte geben können: Ohne Infoläden und autonome Zentren, ohne Rechtshilfegruppen und Kulturinitiativen, ohne die unbezahlte Arbeit von zahlreichen Leuten hätten wir dem Schweinesystem nicht so lange auf die Nerven gehen können. Linksradikale Gruppen leben von Voraussetzungen, die sie nicht alleine schaffen können. Danken möchten wir auch all denen, die über einen langen Zeitraum Teil der autonomen antifa [f] waren und jetzt an anderen Orten oder in anderen Gruppen und Zusammenhängen an der Überwindung der bestehenden Verhältnisse arbeiten. „Danke für Nichts“ hingegen wie immer an die Schreibtischtäter*innen bei Verfassungsschutz, LKA und in sonstigen Ämtern. Über zehn Jahre Bespitzlung, Überschätzung und akribische Berichterei haben uns ja auch irgendwie – wie soll man sagen – verbunden. Freund*innen sind wir zwar nicht geworden und das wird wohl auch nichts mehr werden, aber eine Sorge möchten wir euch trotzdem nehmen: Macht euch keine Gedanken um eure Planstellen, es gibt bestimmt bald wieder etwas zu berichten.

Rückblick

In den letzten zehn Jahren haben wir uns an zahlreichen Kampagnen und Aktionen, international bundesweit und lokal beteiligt, Demonstrationen und Kongresse organisiert, tausende Plakate und Einemillionensiebenhunderteinundvierzigtausenddreihundertzwölf Aufkleber produziert – und verklebt. Dabei haben wir immer versucht, eine umfassende Kritik an Staat, Nation und Kapital mit sozialen Bewegungen zu verbinden. An diesem Anspruch halten wir auch weiterhin fest. Mehr noch: Wir behaupten, dass sich für dieses Anliegen bei uns die Voraussetzungen verbessert haben, weil wir nun wieder mehr Klarheit über das eigene Konzept sowie die Ziele und Mittel unserer Politik haben.

Was letztlich zur Neubestimmung geführt hat war insofern eher in der Frage des „Wie“ begründet: Es wurde in letzter Zeit immer schwieriger, Fragen der politischen Schwerpunktsetzung, des Arbeitsmodus und der strategischen Perspektive zu klären bzw. unterschiedliche Konzepte gleichzeitig zu verfolgen. Insofern ist die Neubestimmung unserer Politik gewissermaßen auch eine nachholende Entwicklung. Während sich andere, große Antifa-Gruppen Anfang der 00er Jahre spalteten, haben wir uns damals erst gegründet. Und gleich versucht, unterschiedliche Pole – klassisch autonome Politik und Postantifa, Wertkritik und Bewegungslinke – miteinander zu verbinden. Das hat zwar von Anfang an zu Konflikten geführt, aber auch relativ lange produktiv funktioniert – und erst in der aktuellen politischen Situation in einem Gefühl allgemeiner Planlosigkeit und Verzettelung geendet.

Die Gründe dafür sind einigermaßen banal: Erstens hat die politische Situation in Europa mit der Krise und Bündnissen wie Blockupy und Beyond Europe sowie der weitgehenden Ruhe in Deutschland selber bei großen Teilen der Gruppe zu der Einschätzung geführt, dass es einen Fokus auf antikapitalistische Kritik und Praxis bei gleichzeitiger Verbesserung der gesellschaftlichen Wirksamkeit linksradikaler Politik braucht. Das bedeutet aber auch die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung autonomer Strukturen und Politikformen.
Zweitens hat sich die Situation der radikalen Linken in Frankfurt positiv entwickelt. Waren wir – zumindest in der ersten Generation – auf der Ebene einer verbindlichen, ansprechbaren und öffentlichkeitswirksamen linksradikalen Politik etwas allein auf weiter Flur, so gibt es inzwischen eine Reihe linksradikaler Gruppen in der Stadt, die mit ähnlicher Ausrichtung arbeiten. Daraus resultiert eine Zunahme an verschiedenen Projekten, die – gepaart mit einem gewissen, überkommenen Zuständigkeitsfimmel unsererseits – zu einer steigenden Anzahl an Aufgaben für die Gruppe und Überlastung von Einzelpersonen geführt hat.
In einer Situation, in der bei einem Teil der Gruppenmitglieder weniger Zeit für Politik ist als früher, hat das zudem immer wieder die Frage auf die Tagesordnung gesetzt, wo genau wir den Schwerpunkt legen. Keine wirklich neue Erkenntnis: Politische Arbeit in der Postantifa, Kinder, Freizeit und prekäre Lohnarbeit sind nicht immer leicht in Einklang zu bringen.

Auf diese dreifache Problemlage haben wir aber leider lange keine adäquate Antwort gefunden. Vielmehr haben wir versucht, die Entscheidung einer Schwerpunktsetzung dadurch zu umgehen, dass wir einfach alles – und dadurch wenig noch richtig – im alten Modus weiter gemacht haben. Gleichzeitig haben wir uns wahrscheinlich einfach zu gut verstanden, um früher politische Konsequenzen zu ziehen. Denn, mal ehrlich: Bei aller Wichtigkeit von Theorie und langen Papieren wird linksradikale Politik häufig nicht nur von solchen, rein inhaltlichen Gründen bestimmt – und das ist vielleicht auch ganz gut so. Es gibt jedenfalls schlimmeres als eine verspätete Trennung. Zugleich war Ende letzten Jahres aber ein Punkt erreicht, an dem sich die Einsicht bei uns durchgesetzt hat, dass es so nicht weitergehen kann.
Die Neubestimmung unserer Politik ist insofern der Versuch, inhaltlich wieder einen klareren Fokus zu finden und praktisch der veränderten Situation in Frankfurt und darüber hinaus Rechnung zu tragen.

Ausblick

In Zukunft wollen wir der Herausforderung des aktuellen Kapitalismus dadurch begegnen, dass wir uns verstärkt der konzeptionellen Arbeit an Fragen der sozialen Reproduktion, der Kapitalismuskritik und der Alltagskämpfe widmen und dies in den Zusammenhang transnationaler Vernetzung stellen. Denn die Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse in Europa kann, so unsere Überzeugung, auch an der radikalen Linken in Deutschland nicht unbeachtet vorüberziehen. Weder die Begrenzung auf den lokalen Rahmen noch das Hamsterrad der Eventmobilisierung ist ausreichend. Dem fatalistischen Gefühl der Unveränderbarkeit des Bestehenden gilt es die grenzübergreifende Arbeit an Alternativen zu Staat, Nation und Kapital entgegenzusetzen, die diesen Namen auch verdienen.

Zwar kann vor dem Hintergrund der Krisen, Konflikte und Bewegungen der letzten Jahre keine Rede mehr davon sein, dass die neoliberale Version des Kapitalismus noch unangefochten da stehen würde. An die Stelle des Glaubens daran, dass es unter den gegebenen Verhältnissen (zumindest langfristig) irgendwie allen besser gehen wird, ist eine allgemeine Angst vor der Zukunft getreten. So schlecht diese Diagnose für die einzelnen Menschen ist, so gut sollten die Risse in der Hegemonie eigentlich für die radikale Linke sein.
Die Frage ist aber, ob es ihr bisher wirklich gelingt, gestärkt aus der sich anbahnenden „Zeit der Monster“ (Slavoj Žižek) hervor zu gehen, ja vielleicht sogar in und mit der Gesellschaft Schritte in die richtige Richtung zu unternehmen. Wie es momentan aussieht, muss das bezweifelt werden. Denn es fehlt eigentlich an allem: gesellschaftliche Einbindung, eine adäquate Kapitalismuskritik, Alltags-Organisierung usw. Der romantische Rückzug auf politische Konzepte aus dem letzten Jahrhundert wird das heute Notwendige bestimmt nicht leisten können.

Für uns ergibt sich daraus, die allzu oft in Phrasen nur propagierte Aufgabe, die Entwicklung einer antikapitalistischen Bewegung auf der Höhe der Zeit voran zu treiben, anzugehen. Das heißt zu allererst, dass es eine Trennung von Kritik und Praxis nicht geben darf. Denn für die praktische Politik spielt die Frage nach gesellschaftlicher Intervention eine entscheidende Rolle. Die Aufgabe der radikalen Linken ist zugleich die Kritik der bürgerlichen Demokratie und des Nationalstaates im Kapitalismus samt der diversen ideologischen Gedanken- und Integrationsformen, die sie alltäglich produzieren. Um diese Kritik sichtbar werden zu lassen, muss sie sich aber in der Öffentlichkeit darstellen und gleichzeitig daran mitarbeiten, praktische Ansatzpunkte innerhalb des Bestehenden zu entwickeln, die darüber hinausweisen können. Insofern begreifen wir unseren neuen Namen auch als Aufgabenbeschreibung. Denn während den „Interventionist*innen“ schnell das Mitmachen, die Reproduktion der abzuschaffenden Verhältnisse und das potentiell falsche Verständnis derselben zum Vorwurf gemacht werden kann, endet die Praxis der „Ideologiekritiker*innen“ allzu oft in identitärer Abgrenzung. Doch eine Kritik, die der schlechten Realität nur ein abstraktes Ideal gegenüberstellen kann, ist genauso ungenügend wie eine Praxis, deren Maßstab nur das pragmatisch „Machbare“ innerhalb dieser Gesellschaftsordnung ist. Die Herausforderung bleibt es daher, Kritik und Praxis zu verbinden und emanzipatorische Ansätze im Konkreten auszuweisen.

Antifa

Natürlich geht solch eine Gesellschaftskritik in praktischer Absicht nicht ohne antifaschistisches Engagement gegen Reaktionäre, Nazis und religiöse FundamentalistInnen aller Couleur. Ihnen werden wir uns auch weiterhin widmen, wo das notwendig ist. Bevor irgendwelche Nazis jetzt also auf komische Ideen kommen, können wir daher versichern: Einfacher wird es für euch in Frankfurt in Zukunft nicht werden. Gleichzeitig gilt aber, dass der revolutionäre Antifaschismus seine Bedeutung nicht erst wegen der Krisenproteste oder gar der Schwierigkeit im Umgang mit dem zunehmenden Rechtspopulismus verloren hat, sondern weil eine radikale Kritik des Bestehenden dieses Bestehende (Staat, Ökonomie, Nation, Geschlechterverhältnisse) in seiner Struktur zum Gegenstand haben muss. Beim revolutionären Antifaschismus ging es um eine Zuspitzung des Antifaschismus zur Systemkritik. Dafür ist der Antifaschismus allerdings im bürgerlichen Staat nicht besser geeignet als andere linke Teilbereiche, denn auch wenn Faschismus eine der politischen Formen bürgerlicher Herrschaft sein kann, ist sie doch nicht mit dieser identisch. Gleichzeitig muss Antifa-Arbeit an sich richtig gemacht werden. Der Rassismus der Mitte kann und muss – gerade ohne eine revolutionäre Aufladung des Antifaschismus – im Kontext des aktuellen Kapitalismus kritisiert und bekämpft werden. Dass dies bitter nötig ist, haben das Beispiel des NSU und das weitgehende Versagen der antifaschistischen Linken in diesem Kontext gezeigt. Wir legen den Fokus daher in Zukunft noch stärker auf eine Kritik des kapitalistischen Normallvollzugs und seiner staatlichen Verwaltung – in dem dann anlassbezogen auch Anti-Nazi-Arbeit und die Auseinandersetzung mit anderen Reaktionären eine Rolle spielen wird.

Kooperationen

Im Hinblick auf den praktischen Modus unserer Arbeit wollen wir versuchen, den inhaltlichen Anspruch mit der Notwendigkeit einer praktischen Öffnung zu verbinden. Das heißt, verstärkt die Kooperation mit anderen Gruppen und Zusammenhängen zu suchen, denn die Größe des Gegenstands antikapitalistischer Gesellschaftskritik und auch die beschriebene Ausdifferenzierung der linksradikalen Szene in Frankfurt „erlöst“ in gewisser Weise von hohen Alleinvertretungs- und umfassenden Zuständigkeitsansprüchen. Das ist vor allem eine Einladung zu einer breiteren und offeneren Zusammenarbeit. Konkret heißt das für uns eine verbindliche antinationale Organisierung (im …ums Ganze!-Bündnis) sowie die Beteiligung an europaweiter Organisierung und Koordinierung (Blockupy und Beyond Europa) und zugleich eine Ausrichtung an sozialen Kämpfen in der Stadt, also auch die Öffnung für eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit Gruppen, die nicht in den bislang von uns bespielten Bündnissen organisiert sind und sich nicht aus dem klassischen sozialen Milieu des linken Aktivismus rekrutieren.

Auf geht’s

Die Einrichtung der Welt und die Mehrheitsverhältnisse in diesem Land geben wenig Anlass zu Optimismus. Gleichzeitig gibt es keinen Grund dafür, dass das für immer so bleiben muss. Wir wollen mit unserem Neustart in Zukunft besser dazu beitragen, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein verächtliches, verlassenes und geknechtetes Wesen ist“ (Haftbefehl). Alle, die daran Interesse haben, sind uns willkommen. Wir sehen uns dann spätestens auf den Trümmern der neuen EZB.

kritik & praxis – radikale Linke [f]rankfurt im Juli 2014

Dieser Beitrag wurde unter Feature veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.