Ein Diskussionsbeitrag der Basisgruppe Antifaschismus (BA) aus Bremen.
0. Einleitung
Dieses Strategiepapier ist ein Plädoyer für die Bildung einer strategischen Doppelflanke: Syndikalistische Gewerkschaften auf der einen, Strukturen von Alternativ- und Gegengesellschaft auf der anderen Seite. Beide vermittelt zueinander über kommunistische [1] (Selbst-)Organisierungen als strategisches Zentrum in Form von Theorie und Praxis, kollektiver Debatte und Reflexion. Dies, vermittelt nach „außen“ in Form von Agitation und Propaganda.
Dabei erheben wir mit diesem Text nicht den Anspruch den der Weisheit letzten Schluss gezogen zu haben, er ist vielmehr eine Einladung zur Diskussion.
1. Wie es ist…
Kategorial
Die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse sind, in objektiver Formenbestimmung und unabhängig der konkreten Formen und des subjektiven Bewusstseins, eine Klassengesellschaft. Ihre Form bzw. das gesellschaftliche Verhältnis ist dabei nicht statisch, „vom Himmel gefallen“ oder von irgendwem bewusst eingerichtet worden sondern nur historisch-materialistisch [2] erklär- und verstehbar. Die Gesellschaft ist dabei als eine Totalität allumfassend (ausgedrückt z. B. im Wertgesetz). Sie hat kein sie konstruierendes oder konstituierendes Zentrum (z. B. den Diskurs oder das „Monopolkapital“ ). Diese Zentrumslosigkeit entspricht aber keiner Basislosigkeit [3] : Nicht in den Köpfen der Leute sondern real im gesellschaftlichen Privateigentum an Produktionsmitteln liegt die Voraussetzung und Existenzbedingung für die Gesellschaft. Bedingung dieser wiederum ist der Staat. Mittels seines Gewaltmonopols setzt er das Eigentum gesellschaftlich durch und gewährleistet es. Mittels Recht und Gesetz verpflichtet er so all seine Insass*innen auf das Privateigentum als Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen. Dies gewährleistet und konstituiert so immer wieder aufs Neue die Existenz zweier gesellschaftlicher Klassen: Die eine verfügt über Privateigentum (und damit potentiell Kapital), die andere nicht und deshalb nur über ihre Arbeitskraft. Beide sind damit aufeinander angewiesen: Die zu Lohnarbeit gezwungen sichern über ihren Lohn ihre Existenz (konkret „machen“ sie das in der Reproduktionssphäre) und erzeugen mittels ihrer Arbeitskraft und dem eingesetzten Kapital Mehrwert und damit perspektivisch Profit. Diesen Mehrwert eignet sich die Eigentumsbesitzende Klasse an, was wiederum ihre Existenzbedingung ist. Der Staat findet dieses Verhältnis super, da er von den Steuern lebt, die er mittel- und unmittelbar aus der Mehrwertproduktion zieht. Deswegen unternimmt er alles für das möglichst reibungslose Funktionieren dieser gesellschaftlichen Verhältnisse, sowohl nach innen (Sozial- und Bullenstaat) als auch nach außen (globale Standortkonkurrenz, post-imperialistische Abhängigkeits-, Macht- und Einflussstrukturen) [4] . Das oben beschriebene Verhältnis der beiden Klassen, von zu Lohnarbeit gezwungenen und Kapitalist*innen, ist dabei in der Form notwendigerweise ein gewaltförmiges („Klassenkampf“). Die einen wollen soviel Lohn bzw. Geld (als Voraussetzung von erfolgreicher Reproduktion) wie möglich bei sowenig Arbeit wie möglich, die anderen genau das Gegenteil. Dabei konkurrieren die jeweiligen Insass*innen der beiden Klassen auch noch untereinander: Um Arbeitsplätze bzw. Profitmöglichkeiten.
Empirisch
Da Gesellschaft nicht ein statisches sondern ein dynamisches Verhältnis ist, gibt es eine notwendige Differenz zwischen Form und Kategorie. Dies auf Grund der Entwicklung der Produktivkräfte, des Klassenkampfes, des sich verändernden konkreten Agieren des Staates bzw. seines Personals und der relativen Autonomie des gesellschaftlich notwendig falschen Bewusstseins („Ideologie“). In Konsequenz drückt sich dies dadurch aus, dass es „die“ Klasse subjektiv nicht gibt (aber unzählige fragmentierte Erscheinungsformen dieser) und auch kein Klassenbewusstsein (als intellektuelle Transferleistung all dieser fragmentierten Formen).
2. … bleibt es nicht!
Klassenkampf beschreibt also die permanente und immanente gesellschaftliche Praxis des Klassenverhältnisses. Beiden kämpfenden Klassen geht es dabei notwendigerweise „nur“ um die Verbesserung der eigenen Stellung im Verhältnis zueinander. Dass Klassenkampf bereits schon selber antikapitalistisch d. h., also die beiden Kategorien und damit das Verhältnis selber in Frage stellt, ist deshalb im besten Fall ein schlechtes Gerücht. Ebenso falsch ist aber auch die Reduktion des Klassenkampfes auf den Lohnkampf z. B. . Wenn das gesellschaftliche Verhältnis von Kapital und Arbeit ein allumfassendes ist, ist es der Klassenkampf als praktischer Ausdruck dieses ebenfalls.
3. No way out?
Das Verhältnis der Kommunist*innen zum Klassenkampf ist deswegen nicht nur ein Doppeltes sondern auch ein doppelt vertracktes. Erstens sind ihre Interessen von den grundsätzlichen Interessen ihrer Klasse (in den meisten Fällen vermutlich die Klasse der Leute, die zur Lohnarbeit gezwungen sind) nicht getrennt von der Verbesserung der eigenen Lage. Gleichzeitig ist aber nur die praktische Kritik dieser – und damit ihrer eigenen Existenzquelle – Voraussetzung und Bedingung ihrer gesellschaftlichen Befreiung.
Die Leninist*innen [5] haben dieses Problem damit „gelöst“, indem sie eine Trennung zwischen den zu Befreienden und den „Befreier*innen“, zwischen revolutionärem Subjekt und Organisation, gezogen haben. Jeder noch so reformistische Kampf wird so „revolutionär“, wenn er die Stärkung der eigenen Organisation zur Folge hat und die Kommunist*innen tragen „von außen“ das „revolutionäre Bewusstsein“ unter die Leute (dabei gibt es dieses Modell noch in anderen Variationen, der „Gegenstandpunkt“ z. B. beschränkt sich auf das reine Hineintragen in Form von „Argumenten“, während DKP, Trotzkist*innen und Co z.B. meistens beim Reformismus verbleiben.). Die Ergebnisse dieser „Lösung“ sind hinlänglich bekannt, der Kapitalismus wird bzw. wurde (Bsp. in der Sowjetunion, DDR, Cuba und ähnlichen realsozialistischen Ländern) zwar nicht abgeschafft aber durch eine Kommandowirtschaft unter uneingeschränkter Führung „der“ Partei ersetzt.
Wenn die Kommunist*innen dies nicht wollen bleibt keine andere Möglichkeit als diese Trennung nicht zu vollziehen zwischen „Befreier*innen“ und zu Befreienden, zwischen konkreten Reformzielen (z. B. „mehr Lohn“, „keine Studiengebühren“, what ever) und kategorialer Kritik und damit sich selbst auch als potentielles Subjekt sozialer Befreiung zu begreifen. Mit dem Ziel dabei möglichst viele als Genoss*innen zu gewinnen.
4. „Alle Macht den Räten“ bricht nicht nur dem Kapital die Gräten
Konkret bedeutet dies unter den aktuellen Bedingungen in der BRD ziemliche Einsamkeit: Anstelle des selbstbetrügenden Bades in der Masse gesellschaftlicher Pseudorelevanz, z. B. in den DGB-Gewerkschaften, „breiten Bündnissen“ und der „Zivilgesellschaft“, steht der Aufbau und die Stärkung eigener antikapitalistischer Strukturen an. Nur die Selbstorganisierung und bewusste Aneignung aller gesellschaftlichen Bereiche in gemeinsamer Selbstverwaltung durch die Menschen bietet die Chance, soziale Revolution und kulturelle (Selbst-)Emanzipation überhaupt einmal durchzusetzen. Das Zusammenspiel von syndikalistischen Gewerkschaften in der Produktionssphäre als auch die Aneignung bzw. Selbstgestaltung der Reproduktionssphäre (Bsp. Stadtteilzentren die auf kollektive Selbsthilfe und Selbstverwaltung zielen, Besetzungen des Wohnraums etc.) könnten dabei die Formen sein. Diese zu entwickelnden Formen haben dabei einen Doppelcharakter: Sie bieten nicht nur die Möglichkeit für ein besseres Leben und Überleben in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen, sie sind auch der Versuch, Vorformen einer postkapitalistischen Gesellschaftsorganisierung zu entwickeln, auszuprobieren und zu lernen. Ein konkretes Beispiel hierfür in der Produktionssphäre ist die weltweite Gewerkschaft der Industrial Workers of the World (IWW), die die syndikalistische Organisationsform mit radikaler antikapitalistischer Gewerkschaftsarbeit verbindet. Diese Kerne proto-nicht-staatlichen Gesellschaftsorganisations- und Selbstverwaltungseinrichtungen, die Räte, sind das praktische Programm der Kommunist*innen gegen all die sich immer wieder auf den Staat Beziehenden, an ihn Forderungen Stellenden oder die auf ihm basierenden Entwürfe und Praxen der Sozialdemokrat*innen und Leninist*innen aller Couleur.
5. Schafft ein, zwei, viele strategische Zentren
Da Gesellschaft aber nicht nur eine Ansammlung von Sphären sondern eine allumfassende Totalität ist, muss auch ihre Kritik, sowohl ihre theoretische als auch ihre praktische, einen ebensolche sein. Dazu bedarf es Orte der kollektiven Reflektion, Analyse und Organisation, die die konkrete Kritik aus und an den Teilbereichen der Gesellschaft und ihren unmittelbaren Zumutungen auf ihr eigentliches gesellschaftliches Niveau hebt und so diese erkennbar und damit abschaffbar macht. Ohne solche strategischen Zentren, die kommunistischen Organisierungen, die in der Lage sind die Teilbereichserfahrungen und Praxen analytisch zusammen zu führen, strategisch zu wenden und sie qualitativ auf eine Kritik ums Ganze zu heben, verbleiben die jeweiligen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Analysen teilbereichsborniert. Eine Revolution, als Akt der gesellschaftlichen Umwälzung und Aufhebung, ist so nicht möglich. Dabei geht es nicht um die Bildung einer alles beherrschenden Organisation, sondern um einen Bereich vieler (anti-)politischer kommunistischer Organisierungen, die als abstraktes Ganzes als strategisches Zentrum wirken und sich nach „außen“ mittels Agitation und Propaganda vermitteln.
- [1] Kommunist*innen: Hier: Die Leute, die die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse in ihrer Gänze ablehnen, emanzipatorisch überwinden und kategorial abschaffen wollen.
- [2] Im Marxschen Sinne, wie u.a. in den „Thesen über Feuerbach“ entwickelt, nicht in der geschichts- deterministischen Verkehrung der Leninist*innen
- [3] Auch hier wieder nicht im idealistisch-materialistischen Sinne der Leninist*innen sondern in dem der „Thesen über Feuerbach“.
- [4] Was hier kurz skizziert wird ist natürlich eine Abstraktion im Durchschnitt. Sie schließt „irre“ und „dumme“ Politiker*innen und andere Firmenchefs nicht aus und ist in erster Linie konkret auf die BRD bzw. auf den „globalen Westen“ anzuwenden.
- [5] Leninist*innen meint hier das gesamte, in sich natürlich sehr heterogene Spektrum, von „klassischen“ Parteien wie der DKP, über Trotzkist*innen, dem „Gegenstandpunkt“ als postleninistisch inhaltlicher Zusammenhang, bis ins mehrheitlich subjektiv autonome Spektrum z. B. in Form des bundesweiten „3a“-Bündnisses.