Aufruf: „Nein, wir lieben dieses Land und seine Leute nicht!“

Nein, wir lieben dieses Land und seine Leute nicht!
Aufruf zur antinationalen Demonstration gegen den Wiener Akademikerball

„WKR-Ball? FPÖ-Ball? Akademikerball?“ Mit dieser Überschrift beginnt der offene Brief von Herwig Götschober, in der er die Anmeldung des Wiener Akademikerballs durch die FPÖ gegenüber internen Kritiker_innen aus den eigenen Reihen verteidigt. Götschober ist freiheitlicher Bezirksrat in Wien-Leopoldstadt und Burschenschafter der Bruna Sudetia. Und tatsächlich stiftet der Namenswechsel des Korporiertenballs zum Ende des Wintersemesters Verwirrung. Denn nach jahrelangen Protesten gegen das rechtsextreme Treiben in der Hofburg schien es, als würde der antifaschistische Aktionismus 2012 Früchte tragen. Nachdem der Ball am Jahrestag der Auschwitzbefreiung stattfand, kündigte die Betreiber_innengesellschaft der Hofburg an, aufgrund der „politischen und medialen Dimension, welche die Abhaltung des WKR-Balles in den letzten Jahren angenommen hat […] für den Korporationsball nach der Ballsaison 2012 nicht mehr als Veranstaltungsstätte zur Verfügung zu stehen.“ Doch die Freude über die erfolgreiche Intervention währte nur kurz. Anfang März verkündete die FPÖ, den Wiener Akademikerball anstelle des WKR-Balls ausrichten zu wollen.

Dass es sich beim Akademikerball um das gleiche Event mit neuem Namen handelt, verbergen die Veranstalter keineswegs. Die Adresse wkr-ball.at führt automatisch zum Wiener Akademikerball und der WKR-Ballausschuss lädt zum neuen Event mit den Worten: „Der Wiener Akademikerball ist ein Ball von Korporierten für Korporierte.“ Und das, obwohl es doch offiziell eine FPÖ-Veranstaltung ist… Als hätte es in der Vergangenheit nicht schon genug stichhaltige Beweise für die enge Verstrickung von deutschnationalen Verbindungen und freiheitlicher Partei gegeben, liefert die FPÖ nun einen weiteren Beleg. Auf die eingangs zitierte Frage ließe sich somit antworten: WKR-Ball = FPÖ-Ball = Akademikerball.

Männlichkeit, Elitedenken und Vergangenheitspolitik in (Zeiten) der Krise

Auf den ersten Blick wirkt dieser ganze Kapperlverein ja reichlich irrelevant: ein Verein von Männern, die um die Wette saufen, sich gegenseitig das Gesicht aufschlitzen und im Vollrausch über Großdeutschland, ihre Großväter und Ehre, Freiheit, Vaterland sinieren. Absolut überholt und unspannend sollte mensch meinen. Doch so unattraktiv diese ganze Männerbündelei auch wirken mag, es gibt nach wie vor Schüler und Maturanten, die sich auf genau das einlassen. Und zwar weil sie sich – vor allem in Zeiten der Krise – etwas davon versprechen.

In einer nach wie vor patriarchal geprägten Gesellschaft wird auf heranwachsende Burschen Druck ausgeübt, dass sie gewissen Männlichkeitsbildern entsprechen. Eigenschaften wie Stärke, (Helden-)Mut, Selbstbeherrschung, Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit werden bis heute von jungen Männern erwartet. Natürlich haben sich in den letzten Jahrzehnten einige dieser Merkmale transformiert. In einer Vielzahl an Familien und Freundeskreisen werden diese Werte aber ungebrochen hochgehalten. Ein positiver Bezug auf und eine Identifikation mit diesen Eigenschaften ist die Folge. Eine übersteigerte Männlichkeit wird von vielen Burschen nicht als unangemessen, sondern im Gegenteil als erstrebenswert angesehen. Sie drängen daher danach, dieses männlich-heteronormative Verhalten möglichst umfassend zu verinnerlichen und auszuleben. Frauen* und „unmännliche“ Männer haben in diesem Denken keinen Platz. Sie „verkörpern“ (im wahrsten Sinne des Wortes) das genaue Gegenteil von dem, was die männlichkeitsaffinen Burschen anzieht. Der weibliche Körper gilt ihnen als defizitär und schwach, weswegen Frauen* auch nicht als wehrfähig erachtet werden. Ebenso werden Frauen* charakterlich als Gegenstück zum Mann gesehen. Gilt es als männlich mutig, beherrscht, ausdauernd und rational zu sein, werden Frauen* als vorsichtig, gefühlsgeleitet, wankelmütig und irrational beschrieben. Die führt dazu, dass alles, was auf diese Burschen „weiblich“ wirkt, wertlos und zweitklassig erscheint. Eine Ab- und Entwertung von Frauen* und allem „Nichtmännlichen“ ist die Folge. Burschenschaften machen an diesem Punkt ein Angebot für Jungen auf dem Weg zur Mannwerdung: Sie bieten Männlichkeit im Übermaß an. Besonders für Burschen auf der Suche nach Identität, mit einem noch wenig ausgeprägtem Selbstbild ist dies verlockend. Hier wird Kameradschaft und (Männer-)Freundschaft fürs Leben versprochen und eigene Schwächen und Unsicherheiten können durch abwertendes Verhalten gegenüber Frauen*, den ehrenhaften Zweikampf (Mann gegen Mann) und übersteigerte Präpotenz kaschiert und überkompensiert werden. Die Mensur stellt in diesem Sinne die vollendete „Mannwerdung“ eines Burschen dar.

Weiters werben Studentenverbindungen damit Eliteschmieden zu sein. Und wer möchte in Zeiten von Wirtschaftskrise, Sozialabbau und verstärkter Konkurrenz am Arbeitsmarkt nicht zu einer privilegierten Elite gehören? Die allgemeine Verunsicherung um den eigenen Lebensunterhalt und die Angst vor dem sozialen Abstieg trifft junge Generationen heute mehr denn je. Auch hier machen Korporationen ein Angebot: Die Alten Herren der Verbindungen sitzen prominent in Politik, Wirtschaft und Justiz und üben gehörigen Einfluss auf die Gestaltung der österreichischen Gesellschaft aus. Seilschaften und Beziehungen sind bekanntermaßen feste Bestandteile des korporierten Lebens. Ein Job nach der Uni scheint da so gut wie sicher. Außerdem wird einem das Gefühl vermittelt „was zu sein“, und zwar etwas besseres. Das wirkt in Zeiten der kollektiven Entwertung beruhigend auf die verunsicherte Seele und entlastet zudem das Gewissen von sozialer Verantwortung und Mitgefühl. Man(n) hält sich für Elite und pflegt den Sozialchauvinismus. Denn Elite kann es nur dort geben, wo es auch „den Pöbel“ gibt. Und je mehr sich eine Gruppe als gesellschaftliche Avantgarde sieht, umso chauvinistischer muss sie das gegenüber denjenigen beweisen, die in ihren Augen nicht dazu gehören. Dass die elitäre Burschengesellschaft nichts mit niederen sozialen Schichten zu tun haben will, wird im eingangs erwähnten Brief von Götschober deutlich, wenn er verspricht, der Wiener Akademikerball werde – im Gegensatz zu gängigen FPÖ-Events – keine Veranstaltung „wo der Gemeindebauprolet auftanzen wird“ .

Auch für den ungewissen und ängstlichen Blick in die Zukunft haben die Korporationen eine Lösung parat: die Vergangenheit – vorzugsweise die zwischen 1938 und ’45. Natürlich dürfen sie das heutzutage nicht mehr so offen sagen, wie sie es gerne täten. Deswegen heißt Großdeutschland nun „der deutsche Sprach- und Kulturraum“, der Ariernachweis wird ersetzt durch eine Auswahl nach „populationsgenetischer Gruppierung“ und die strafrechtlich verbotene Leugnung der Shoah wird zum Kampf für „Meinungsfreiheit“ umgedeutet. Die geänderten Begriffe dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der großdeutsche Geist in den Verbindungen weiterspukt und weiterhin als primärer politischer Orientierungspunkt dient. So verwundert es nicht, dass de facto jeder namhafte Neonazikader der zweiten Republik in Verbindungen war und rechtsextreme Morde nach 1945 einen auffällig hohen „Korporationshintergrund“ hatten.

Burschenschaften bieten also in einer turbulenten Zeit von kapitalistischer Krise und verschärfter Konkurrenz jungen Männern mit mangelnd ausgebildeten Charakterstrukturen etwas an, das ihnen fehlt: nämlich Identität und Orientierung. Diese Identität ist männlich, elitär und deutsch. Die Kehrseite dieser Identität sind Ausgrenzung und (strukturelle) Gewalt gegen diejenigen, die dem nicht entsprechen, das heißt: gegen Frauen, Homo- und Transsexuelle, sozial Benachteiligte, Migrant_inen und Jüd_innen. Damit sind Burschenschafter die Spitze eines reaktionären Eisberges im Umgang mit verschärften Krisenkonstellationen. Sexismus, Elitarismus/Sozialchauvinismus und das Rückbesinnen auf „die gute alte Zeit (des NS)“ sind gängige Muster in der zugespitzten Konkurrenz – nicht nur am rechten Rand, sondern gerade aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus. Im Verteidigungskampf um bestehende Privilegien und das bisschen angesparten Wohlstand beruft sich das bürgerliche Subjekt verzweifelt auf eine Identität, die ihm Status, Arbeit und Geld erhalten soll. Und so tönt es nicht nur im korporierten Milieu: Als erstes mögen doch bitte Frauen vom Arbeitsmarkt an den Herd verschwinden oder lieber Teilzeit statt Vollzeit arbeiten, das gesellschaftliche Vermögen solle nicht an „Sozialschmarotzer_innen“ verprasst werden und in puncto Beschäftigungspolitik gab es doch schon mal eine Zeit als Massenarbeitslosigkeit – u.a. durch den Bau von Autobahnen – effektiv bekämpft wurde. Dies sind Statements aus der Mitte der Gesellschaft. Die deutschnationalen Verbindungsbrüder spitzen dieses massenhaft verankerte Denken nur in besonderer Weise zu.

Ob völkisch oder kulturalistisch: Rassismus tötet!

Ein weiteres Merkmal, das sich bis heute in rechtsextremen Verbindungen finden lässt, ist Rassismus. Historisch vertraten deutschnationale Burschenschaften einen Rassismus, der „Rasse“ aus der Biologie des Menschen heraus definierte. Nach den Greueltaten des NS konnte an diese Inhalte nicht mehr nahtlos angeknüpft werden. Zu barbarisch waren die rassistischen und antisemitischen Exzesse der Nazis. In den letzten Jahrzehnten wandelte sich daher der Rassismus unter Federführung der – überwiegend aus dem studentischen Milieu stammenden – Neuen Rechten. Die Neue Rechte etablierte die Konzepte des Ethnopluralismus und des kulturellen Rassismus und sie entkoppelten damit oberflächlich Nationalismus und Rassismus vom völkischen Biologismus. Statt Blut-und-Boden-Ideologie werden nun Ethnien mit angestammten und natürlichen Territorien propagiert. Statt einer Rassezugehörigkeit anhand von Genen werden Menschen anhand kultureller Zugehörigkeit kategorisiert. Diese ideologische Transformation breitete sich in den vergangenen Jahrzehnten vom rechts-akademischen Spektrum in den Mainstream der Gesellschaft aus. Dort wurden Kulturalismus und Ethnopluralismus von bürgerlichen Alltagsrassist_innen wohlwollend aufgenommen und reproduziert. Die Unverfänglichkeit über Kultur und territoriale Zugehörigkeit zu reden geht schließlich wesentlich einfacher über die Lippen als das alte Nazivokabular von Volk und Rasse. Gemeint ist in den allermeisten Fällen das gleiche. Ging es im „alten“ Rassismus darum, dass es keine Vermischung von „Rassen“ geben sollte, heißt es nun, die Kulturen sollten erhalten und daher nicht vermischt werden. Dachte die Blut-und-Boden-Ideologie den Volkskörper mit einem gewissen „Lebensraum“ zusammen, geht es im Ethnopluralismus darum, Ethnien und Kulturen einem abgesteckten Territorium zuzuordnen. Kultur wird zur zweiten, unveränderlichen Natur der Menschen und argumentiert somit fast identisch wie der biologische Rassismus.

Migration ist dem modernisierten wie dem traditionellen Rassismus ein Dorn im Auge. Nachdem es als common sense gilt, dass gewisse Kulturen feste, unveränderliche Eigenschaften besitzen, folgt daraus für die Alltagsrassist_innen, dass diese mit der hiesigen Kultur unvereinbar sind. Mit anderen Worten: Die „Kulturfremden“ gehören abgeschoben; nicht wegen ihrer Hautfarbe, sondern wegen ihrer kulturellen Andersartigkeit. Der grassierende antimuslimische Rassismus greift z.B. nicht primär biologistische Muster auf, sondern argumentiert kulturalistisch. Jene Migrant_innen, die nicht abgeschoben werden, müssen sich an kulturellen Maßstäben messen lassen. Gilt eine Herkunftskultur als faul oder ungebildet, lässt sich damit ökonomische Ungleichheit einwandfrei legitimieren. Ein schlechter bzw. gar kein Job oder eine geringere Bezahlung sind die Folge. Ursache und Wirkung werden vertauscht. Nicht die Rassist_innen sind Schuld an der Ausgrenzung, sondern die Ausgegrenzten wegen ihrer angeblichen kulturellen Eigenschaften.

Auch die staatliche Migrationspolitik nutzt diese Argumentation. Lagersysteme, Schubhaft und Abschiebungen werden in erster Linie nicht als Maßnahmen staatlicher Herrschaft und Kontrollmechanismen begriffen, sondern als Folge des Verhaltens von Migrant_innen. Abgeschoben wird wegen angeblich grassierendem Asylmissbrauch und kaserniert wird, um die lokale Bevölkerung vor dem (kriminellen) Verhalten der Migrant_innen zu schützen. Ein weiteres Mal wird nicht Rassismus als Ursache der Maßnahmen benannt, sondern dem Verhalten der Migrant_innen zugeschrieben.

Besonders in Zeiten der Krise verschärft sich die rassistische Frontstellung. Die mittlerweile alltägliche Hetze gegen Griech_innen und ihre angeblich faule und dekadente Art bedient sich unverhohlen kulturell-rassistischer Motive. Dies dient dem Zweck, in der nationalstaatlichen Konkurrenz die eigenen Privilegien und den nationalen Standort zu verteidigen. Solidarität wird zum Fremdwort. Wohlstand soll es nur für eine_n selbst, höchstens noch fürs eigene Kollektiv geben. In der Verteidigung des eigenen Wohlstands und der eigenen Privilegien sind Rassist_innen fast alle Waffen recht. Die Stimmung heizt sich – nicht nur in der FPÖ-Wähler_innenschaft – auf, wenn es um Rettungsschirme und Schuldenerlasse geht. Ebenso kochen die Gemüter, wenn es in den einschlägigen Schundblättern mal wieder um Asylmissbrauch geht. In einem solchen Klima rassistischer Verbalaggression ist es zum rassistischen Übergriff dann nur noch ein kleiner Schritt.

There is no alternative: Grenzenlose Solidarität!

Für eine radikale Linke muss die aktuell verschärfte Krisensituation praktische Konsequenzen haben. Zum einen muss klar sein, dass der hiesige rassistische Mob, der täglich gegen Asylmissbrauch, „faule Südländer_innen“ und „kulturfremde“ Migrant_innen hetzt, auf der anderen jenseits der Feindeslinie steht. Deshalb: „Nein, wir lieben dieses Land und seine Leute nicht!“

Weiters gilt es einer in die Jahre gekommenen Parole wieder Leben einzuhauchen: Solidarität muss praktisch werden – und zwar mit den verschiedenen antirassistischen Kämpfen, die aktuell an verschiedenen Orten mit verschiedenen Mitteln geführt werden. Dazu ist es notwendig , die nach wie vor bestehenden Unterschiede zwischen antifaschistischer und antirassistischer Teilbereichspolitik zu reflektieren und zu überwinden. Der Kampf um globale Bewegungsfreiheit ist genauso Bestandteil emanzipatorischer Politik wie die Kritik an Staat und Kapital. Konsequenterweise muss die antirassistische Betätigung mit der Logik von Nationalstaaten brechen. Denn der Kampf gegen Abschiebungen und die Festung Europa ist im innersten Kern antinational. Die Bemühungen um globale Bewegungsfreiheit machen nämlich nur dann Sinn, wenn sie auf die Abschaffungen von Nationen als bürgerlich-kapitalistische Konstrukte abzielen. Erst mit dem Fokus auf die Abschaffung von Nation und kapitalistischer Standortlogik wird antirassistische Politik zu einem wirklich grenzen- und schrankenlosen Unterfangen. Solange der Nationalstaat und die Nation als Ideologie nicht angegriffen werden, betreibt antirassistische Politik leider nur einen sich permanent wiederholenden Kampf gegen Windmühlen.

In diesem Sinne gilt es eine antinationale und – im wortwörtlichsten Sinne – grenzenlose Solidarität zu praktizieren! Diese Solidarität gilt den verschiedenen Kämpfen gegen rassistische Ausgrenzung, Abschiebungen und für globale Bewegungsfreiheit. Diese Solidarität gilt aber ebenso denjenigen sozialen Kämpfen, die von der kapitalistischen Krise und von dem EU-Spardiktat weit mehr betroffen sind, als die mitteleuropäischen Mitgliedsstaaten.

Gegen den Wiener Akademikerball als Sammelbecken reaktionärer Krisenlösungen.
Hoch die grenzenlose, antinationale Solidarität und für den Kommunismus!
Freitag, 1. Februar 2013 // 18:00 Uhr // Europaplatz, Wien

Infos auf: nowkr.at und umsganze.org

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