Wien: Antifa statt Verbote!

Antifa statt Verbote!

Oder: Warum man sich im Kampf gegen Rechts nicht auf den Staat verlassen kann.

„Soll man Menschen, Vereinen und Parteien den Schutz der Grundrechte gewähren, die sie dazu verwenden, eben diese Grundrechte zu zerstören? Soll man ihnen die Mittel der Demokratie zur Verfügung stellen, damit sie damit die Demokratie abschaffen können – also auf legalem Weg die Demokratie beseitigen?“ – das fragt sich der ehemalige Klubobmann der ÖVP Andreas Khol in der Tageszeitung „Der Standard“ und begründet die Antwort auf diese Frage, die auf die Verbotsforderung der ÖVP gegen die rechtsextremen „Identitären“ rekurriert, mit den Lehren aus dem Nationalsozialismus. Wie schnell Khols „Lehren“ aus der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus – also jenes spezifischen Umschlagens von bürgerlicher Herrschaft in Barbarei, von technischen Fortschritt in industriellen Massenmord, von Demokratie in Volksgemeinschaft – zu einem Rundumschlag gegen„Verfassungsfeinde […] von allen Seiten“ wird, beweist er in seinem Kommentar innerhalb weniger Zeilen. Der „Sozialismus“, so Kohl, bedrohe eben die herrschende staatliche Ordnung im selben Maße wie rechtsextreme Menschenfeinde. Seine Sorge gilt also vordergründig dem Fortbestand der herrschenden Verhältnisse, nicht jenen Menschen, die durch rechtsextreme Ideologien in ihrem Leben bedroht werden. Durch verantwortungslose Gleichgültigkeit werden alle „Extreme“ auf ein und dieselbe Stufe gestellt, völkische Reinheitsphantasien mit der Forderung einer klassenlosen Weltgesellschaft verglichen. Es ist wenig überraschend, dass es der ÖVP nicht um eine kritisch-inhaltiche Begründung ihres vermeintlichen Kampfes gegen Rechtsextremismus geht. Als Nachfolgepartei des austrofaschistisches Diktators Dollfuß war sie ja schon des Öfteren bereit, mit der rechtsextremen FPÖ zu koalieren. Die Verbotsforderung kann also durchaus als Ablenkungsmanöver im Wahlkampf gewertet werden: Die ÖVP will im Bezug auf ihr Verhältniss zum Rechtsextremismus ihre Weste wieder reinwaschen, um selbige zukünftig ordentlich mit brauner Soße besudeln zu können. Das von Khol propagierte Konzept der „wehrhaften Demokratie“ vergisst nicht nur, dass die bürgerliche Gesellschaft nicht das Bollwerk gegen den Nationalsozialismus war, sondern dessen Voraussetzung, dass die extreme Rechte in ihrer konformistischen Revolte bereits vorhandene Ideologien und Ressentiments einfach nur zuspitzt und verschärft – es kann auch als Kampfansage gegen all jene gesehen werden, die nicht bereit sind, die herrschenden Verhältnisse als einzige mögliche Gesellschaftsform hinzunehmen.

Rezepte, die im Namen der Bekämpfung des Rechtsextremismus vor allem eine Verschärfung von Repression und Ausweitung polizeilicher Befugnisse beinhalten, sind vor allem deswegen problematisch, da sie immer auch gegen Links gewendet werden können – eine Option, die bereits bereitwillig angekündigt wird. Zudem konnten und können sich rechtsextreme Organisationen unter den Augen von Sicherheitsbehörden entwickeln bzw. immer wieder auch reorganisieren. Auf den mit autoritären Sehnsüchten liebäugelnden repressiven Staatsapparat ist im Kampf gegen Rechtsextremismus sicherlich kein Verlass. Das zeigt sich auch dann, wenn es mal zu Repressionsschlägen wie im Zusammenhang mit der neonazistischen Homepage „alpen-donau.info“ kommt, dessen Umfeld nicht nur Unterschlupf bei den „Identitären“ gefunden hat, sondern derzeit auch in Graz dabei ist, ganze Viertel zu terrorisieren. Ganz zu schweigen, dass ihr „Führer“ Gottfried Küssel weiter munter Interviews in neonazistischen Publikationen gibt, in denen er über inkriminierende Fotos des ehemaligen Vizekanzlers Strache aus seiner Zeit in der Neonaziszene berichtet. Verbote können zwar kurzzeitig rechtsextreme Gruppen lähmen, sie sind aber nicht wirksam im Bekämpfen rechtextremer Einstellungen und Ideologien. Sie richten sich gegen Symptome, nicht jedoch gegen Ursachen, ohne eine Gesellschaft, die sich gegen die rechtsextremen Ausgrenzungen, Bedrohungen und Diskriminierungen stellt, bleibt jedes Verbot ohnehin wirkungslos. Durch Verbote wird Rechtsextremismus darüber hinaus einmal mehr zum gesellschaftlichen Randphänomen erklärt, welches mit staatlichen Verboten zu erledigen wäre. Doch rechtsextreme Einstellungsmuster sind in dieser Gesellschaft allgegenwärtig und tief in ihr verankert. Dazu genügt nicht nur ein Blick auf die FPÖ-Plakate, die Aussagen des ehemaligen Kanzlers zum „Schutz der kulturellen Identität“, die bürokratisierte Unmenschlichkeit der Abschiebebehörden oder die Gängelung von sozial schwachen in den Amtsstuben.

Das Problem fängt nicht beim Gesetzesübertritt an und lässt sich nicht auf die, von Mitte-Extremist*innen immer nur an den „Rändern“ der Gesellschaft vermutete, gewaltförmige Erscheinungsform reduzieren. Das Problem sind die beidem zu Grunde liegenden rechtsextremen Haltungen. Gewalt, die für viele, die der extremen Rechten als Feindbild dienen, auch tödlich enden kann, ist lediglich deren Folge. Weil das Problem die Einstellungen sind, darf die Verantwortung nicht an Staat und Polizei delegiert werden. Erforderlich wäre vielmehr eine öffentliche Diskussion und Aufklärung über die ideologischen Inhalte und die spezifischen Erscheinungs- und Strukturformen des modernen Rechtsextremismus sowie eine Bildung zur Mündigkeit, die Individuen – idealerweise vom Kindergartenalter an – dazu befähigt, auf Ängste und Herausforderungen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft nicht einzig mit Abwertung und Ausgrenzung Schwächerer zu reagieren. Notwendig sind Konzepte, die gegen eine Verbreitung rechter Einstellungen wirken und diejenigen stärken, die von rechter Gewalt betroffen sind, die sich positionieren und den Rechtsextremen und ihrem Umfeld Grenzen aufzeigen. Von Nöten wäre eine Aufklärung über die Ursachen der Verbreitung rechtsextremer Einstellungen, die in dieser auf Konkurrenz und Ausschluss basierenden Gesellschaft gründet. „Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute nicht gebrochen“, formulierte Adorno in „Aufarbeitung der Vergangenheit“. Für uns kann dies nur bedeuten auch weiterhin in Sachen Antirassismus und Antifaschismus nicht auf den Staat zu vertrauen, sondern uns selbst dem rassistischen Mob entgegenzustellen und rassische Einstellungen zu bekämpfen.

Antifaschismus ist nicht der Handlungsgehilfe des Staates. Antifaschismus heißt selbst-organisiertes politisches Handeln. „Die einzig wahrhafte Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie“, schreibt Adorno, also „die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung.“ Diese Kraft zielt auf die Stärkung des*der Einzelnen, deren Entwicklung durch die Last des konformistischen Drucks zu „funktionieren“ in dieser Gesellschaft immer wieder beschädigt und verstellt ist. Aus diesem Grund braucht es im Kampf gegen Rechts nicht nur einen radikalen Antifaschismus, sondern auch eine revolutionäre Perspektive, die auf die Abschaffung der falschen Verhältnisse zielt, die Selbstorganisation abseits der Zwänge von Staat und Kapital vorantreibt. In diesem Sinne: Antifa statt Verbote! Kommunismus oder Barbarei!

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