Blockupy Auswertung der autonomen antifa [f]

rockupy Sieben Thesen der autonomen antifa [f] zum Verlauf der Blockupy-Aktionstage 2013 – und zur Frage wie es jetzt weiter gehen könnte.

Rockupy – eine Blockupy-Auswertung

Blockupy hat gehalten, was es versprochen hat –  nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Insgesamt haben über 15.000 Leute den Protest gegen die von Deutschland und der Troika betriebene  Verarmungspolitik mehrere Tage lang öffentlichkeitswirksam in eines der politischen Zentren des europäischen Krisenregimes getragen. Gegen die herrschende Ethnisierung des Sozialen („faule Griechen“) und die reformistische Verkürzung des Problems auf eine angeblich fehlende Regulierung des Finanzmarktes („böse Banker“) haben die internationale Orientierung an den sozialen Bewegungen anderswo und die thematische Breite der Aktionen dieses Jahr zentrale Widersprüche des kapitalistischen Krisenregimes als Ganzem deutlich gemacht. Aktionsziele waren u.a. der Abschiebeflughafen, die EZB als politischer Akteur, Innenstadtverdrängung durch Luxussanierungen sowie geschlechtliche Arbeitsteilung und die elenden Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie. Entscheidend für diesen Erfolg war neben der Offenheit für eine radikale Kapitalismuskritik vor allem das solidarische Nebeneinander unterschiedlicher Aktionsformen, von Demos über Blockaden bis hin zu zahlreichen militanten Markierungsaktionen. Doch so schön das alles ist: gemessen an der massiven Verschärfung der sozialen Verhältnisse in Europa ist es immer noch nicht viel. Der Event ist nur so gut, wie auch die Ausweitung antikapitalistischer Bewegung in  Alltagskämpfen hinein gelingt. Blockupy war insofern ein Punkt von dem aus es jetzt weiter gehen kann – aber auch weitergehen muss. Die nächste Großmobilisierung zur EZB-Eröffnung 2014 wird nur dann mehr als eine Wiederholung sein, wenn sie zum Kristallisationspunkt einer breiten Bewegung von international vernetzten und lokal verankerten Initiativen wird.

Der brutale Polizeieinsatz ist kein „Skandal“, sondern normaler Ausdruck des Gewaltpotentials des Staates im Krisenkapitalismus. 

Der massive Einsatz  von Pfefferspray, das Geknüppel am Flughafen und bei der Abschlussdemo sowie die stundenlange Einkesselung von fast  tausend Menschen ist ohne Zweifel ein Grund zur Empörung und für viele auch eine beschissene Erfahrung gewesen, aber er war kein Angriff auf „unsere Demokratie“. Im Gegenteil, es war der – zugegenermaßen etwas unbeholfene und grobe – Versuch, das heilige (weil im Hinblick auf den Geschäftsbetrieb weitgehend folgenlose) Versammlungsrecht gegen seine übermäßige Inanspruchnahme, die sich am Ende sogar noch gegen dessen Garanten, den Staat selbst, richten könnte, zu schützen. Die Mitteilung, die all den besorgten Staatsbürger/innen daher zu machen ist, ist so beruhigend wie  schlecht: In der Polizeigewalt gegen ein paar renitente, gemessen am normalen Gewaltaufkommen der Marktwirtschaft (Abschiebungen, Zwangsräumungen, Arbeitszwang, etc.) aber doch recht harmlose Antikapitalist/innen, zeigt sich der Staat des Kapitals in seiner grundlegenden Funktion: der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Geschäftsgrundlage. Was sich in der Krise geändert hat, ist nicht der Staat, sondern nur die Bedingungen unter denen er versucht dieser Funktion nach zu kommen. Unabhängig davon wer Innenminister ist: wo Investoren beruhigt werden müssen und die Währungsstabilität bedroht scheint, gibt es wenig Spielräume für praktischen Ungehorsam. Wer aber einfach nur harm- und folgenlos durch die Stadt demonstrieren will, der/die hat auch bis auf weiteres nichts zu befürchten. Nur diejenigen, von denen der Staatschutz, ob zu Recht oder zu Unrecht, erwartet hat, dass sie der Kritik an der Gewalttätigkeit des Kapitals auf der Abschlussdemonstration in aller Öffentlichkeit auch Taten folgen lassen könnten und die sich zudem noch entgegen des staatlichen Monopols auf körperliche Unversehrtheit mit entsprechenden Hilfsmitteln gewappnet hatten, sollten vom Rest isoliert und polizeilich bearbeitet werden. In diesem Vorgehen ist der Staat sich treu geblieben – und dieser Umgang mit „Störer/innen“ wird noch intensiviert werden, wenn es hier tatsächlich mal eine wirkmächtige Bewegung geben sollte. Denn „die Antwort, die dieses System dem ‚Umsturz aller Verhältnisse in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist` erteilt, findet sich nicht in der Wissenschaft, sondern im Strafgesetzbuch“ (Johannes Agnoli). In Zukunft wird es daher weniger darum gehen, zu beklagen, dass diese Gesellschaft systematisch ihre eigenen Ansprüche unterläuft. Es wird vielmehr Zeit, sich praktisch darauf vorzubereiten.

Under my umbrella:  Spaltung gescheitert.

Das Neue an der repressiven Zerschlagung der Bündnisdemo war nicht die staatliche Repression gegen eine im besten Sinne undeutsche Demonstrationskultur, sondern, dass der Spaltungsversuch dieses Mal eben nicht funktioniert hat. Mehr noch: der selektive Ausnahmezustand hat, siehe die zahlreichen „passiven Bewaffnungen“ auf der erfreulich großen Solidemo eine Woche später, sogar zu einer Solidarisierung mit und dem erfolgreichem Import  von praktischem Ungehorsam geführt. Diese Solidarisierung ist vielleicht der größte Erfolg von Blockupy – und zudem ein praktischer Beweis für die Richtigkeit der gemeinsamen Bündnisarbeit von ganz unterschiedlichen Akteuren. Aber seinen besonderen Sinn hat dieser bündnispolitische Erfolg auch nur genau darin: Wenn er als Solidarität mit jenen zwar verhältnismäßigen, aber eben nach herrschenden Maßstäben doch illegalen Aktionen verstanden wird. Mit Aktionen, die sich nicht nur wenig um das Strafgesetzbuch scheren, sondern sich auch bewusst gegen den nationalen Konsens jener Mehrheit hierzulande richten, der das Standortinteresse auf absehbare Zeit doch wichtiger als die Bedürfnisse anderswo oder die eigene Burnout-Quote ist. Die Radikalität, die darin zum Ausdruck kommt, ist nicht das Erkennungszeichen eines  Blockes, eines bestimmten Bündnisses oder gar eine Gruppe, sondern vielmehr eine in Theorie und Praxis unversöhnliche Position, die je nach Situation jede/r einnehmen kann.  Ihr Ort ist daher auch nicht der einer abgekapselten Avantgarde  oder im unsichtbaren Untergrund, sondern mitten in einer Mosaiklinken, deren Stärke gerade auf der gegenseitigen Anerkennung unterschiedlicher Handlungsfelder und Bedingungen beruht. Die Rolle der radikalen Linken ist dabei nicht, allen anderen ständig nur vorzuhalten, dass sie eben keine Linksradikalen sind – das wissen die. Vielmehr ist es der Job der radikalen Linken eine grundsätzliche Kritik von Staat, Nation und Kapital plausibel zu machen und Angebote für eine entsprechende, gemeinsame Praxis zu entwickeln. Der gescheiterte Spaltungsversuch hat, trotz aller Brutalität, schließlich nochmal eines sehr deutlich gemacht:  „Ein Aufstand triumphiert als politische Kraft. Politisch ist es nicht unmöglich, eine Armee zu besiegen.“ (Unsichtbares Komitee)

Wer ist friedlich? Und was sind wir? 

Wenig ist aktuell sinnloser als die Betonung der eigenen Friedfertigkeit, wie es sie z.B. auf der Solidemo leider auch zu bestaunen gab. Das schürt nur Illusionen über die Situation in der wir uns befinden. Niemand soll zu bestimmten Aktionsformen gezwungen werden.  Aber, dass es Widerstand braucht der finanziell wehtut und praktisch stört, das ist doch klar. Menschliche Bedürfnisse sind für den Systemzusammenhang aus Staat, Nation und Kapital einfach nur störendes Hintergrundrauschen. Soll unsere Botschaft verstanden werden, muss sie daher in den kapitalistischen Code für „falsch“ übersetzt werden: Verluste. Dieses Jahr war es gerade die Mischung aus öffentlichkeitswirksamen Blockaden, Veranstaltungen, Demos und nächtlichen Markierungsaktionen „mit Farbe, Steinen und Feuer“  (blockupyaction/indymedia) bei zentralen Akteuren und Profiteuren der aktuellen Krisen“lösung“, die den Normalzustand in Frankfurt und Rhein-Main durcheinander gebracht hat. Es war wohl auch die Furcht davor, dass sich diese Mischung bei der Abschlussdemo einfach in aller Öffentlichkeit fortsetzen könnte, die die Einsatzleitung so nervös gemacht hat, dass sie jede politische Klugheit vergessen hat. Bei einem Blick auf die zahlreichen Aktionserklärungen, die allein auf indymedia.linksunten aus der Zeit kurz vor, während und nach Blockupy zu finden sind – von der Markierung von wirtschaftlichen Institutionen über zahlreiche Aktionen gegen die Deutsche Bank, Polizeiwachen und Autos, Immobilienbüros, Bundesbank etc. pp. – drängt sich jedenfalls ein Eindruck auf: Der zielgenaue Sachschaden bei den richtigen Adressen dürfte jenem von M31 im letzten Jahr wahrscheinlich ziemlich nahe kommen und zugleich hat sich die Polizei in eine seltene politische Defensive manövriert. Herzlichen Glückwunsch dazu!

Alternative zu Deutschland: Antirassismus als Nadelöhr der Krisenproteste. 

So nervig von Seiten der Bullen und nicht zuletzt auch organisatorisch ausbaufähig von unserer Seite die Aktion am Flughafen war, hat sie doch politisch den richtigen Punkt aufgegriffen: Antikapitalistische und antirassistische Kämpfe gehören zusammen – in einer wirklichen Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Denn Antirassismus heißt Kritik an Staat und Nation, weil die staatliche Diskriminierung von Menschen nach Herkunft und Nutzen der Logik geordneter Standortkonkurrenz folgt: nationale Vorteile sichern, Verantwortung abschieben. Und auch der Alltagsrassismus der deutschen Deppen ist vor allem ein Appell ans nationale Privileg: der Staat soll „Deutsche zuerst!“ bedienen. Zugleich kann nur eine antirassistische Perspektive, die praktisch den nationalen Rahmen überschreitet, die Proteste gegen die Krisenpolitik grenzübergreifend in Bewegung bringen. Daher ist der Kampf gegen die Abschottung Europas zentral – und er unterscheidet (vielleicht mehr als jeder kluge Text) eine radikale Bewegung von dem  Reformismus vergangener Tage.  Dazu gehört ein Antifaschismus der praktisch gegen die Gefahr nationalistischer, antisemitischer und rassistischer Eskalation vorgeht. In diesem Sinne haben wir uns auch sehr über die kleine Aktionen gegen den Rechtspopulisten Hübner und seine „Alternative für Deutschland“ während Blockupy und die entschlossene Verhinderung der „eurokritischen“ Republikaner-Kundgebung vor der EZB ein paar Wochen später gefreut. Der „Eurokritik“ von Rechts hat Blockupy  zwar schon selbst die Perspektive einer grenzübergreifenden Solidarität entgegen gesetzt. Trotzdem sollte man die negative Utopie einer nationalen „Schutzgemeinschaft“ nicht unterschätzen und ihre Fans dementsprechend mit Priorität behandeln.

„Die Krise“ ist kein Teilbereich neben anderen, sondern die Verbindung zwischen allen Teilbereichen.

Die aktuelle Krise ist kein vorübergehende ökonomische Episode oder irgendein beliebiges politisches Thema. Die durch sie vermittelte Dynamik von brutaler Inwertsetzung, Angriffen auf soziale Rechte, rassistische und sexistischer Formierung sowie einer autoritären Konfliktbearbeitung durch die Staatsorgane hat nicht nur Auswirkungen auf allen Ebenen der Gesellschaft: sozial, kulturell und ökologisch. „Krise“  stellt vielmehr den Modus dar, in dem sich der Kapitalismus momentan überhaupt noch reproduzieren kann. Damit geht ein Legitimationsverlust dieser Gesellschaftsordnung einher, der nur allzu schnell von reaktionären Bewegungen aller Art aufgegriffen wird – wenn wir es nicht tun. Zugleich bieten sich hier für die radikale Linke auch die Chance, mit all denen zusammen zu arbeiten, die in sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Parteien zumindest offenen für Neues und angesichts des jahrzehntelangen Scheiterns etatistischer  Politikformen  auch bereit zu zivilen Ungehorsam und einer grenzübergreifenden Praxis sind. Begibt sich die radikale Linke hier nicht ins Getümmel (sei es aus Angst sich die Hände schmutzig zu machen oder um der Reinheit einer bloß abstrakten Kritik willen) existiert sie gesellschaftlich nicht und ist faktisch überflüssig. All jene, denen die Selbstverortung und das Standing in der Szene wichtiger als eine erfolgreiche Praxis gegen die deutsche Hegemonie in Europa ist, werden sich zwar auch in Zukunft wohl nicht zur Teilnahme an den Krisenprotesten bewegen lassen.  Allein: Spannender als sich weiterhin mit den nur noch um sich selbst kreisenden Debatten dieser (eher identitären als radikalen) Linken zu beschäftigen, ist es ohnehin, mit allen anderen in eine Diskussion darüber zu kommen, welchen Gegenentwurf und welche Gegenstrategie wir – neben dem Widerstand gegen das Krisenregime mit all seinen Facetten – zum Kapitalismus eigentlich konkret anzubieten haben. Denn jenseits der allgemeinen Floskeln ist  da bei uns allen sicherlich  noch Luft nach Oben. Der 3. Umsganze-Kongress Anfang Juli soll ein Forum für genau diese Diskussionen sein (https://www.umsganze.org/dritter-kongress/).

Wie weiter: Antikapitalismus globalisieren & lokalisieren.
Zugegeben:  Eine „Verbreiterung antikapitalistischer Bewegung in Alltagskämpfe hinein“ ist schwerer getan als gesagt. Aber unmöglich ist sie auch nicht. Der Widerstand gegen Zwangsräumungen und die Auseinandersetzungen über den Zugang zur Stadt stellen z.B. eines der Felder da, in denen sich konkrete Auswirkungen der Zurichtungsversuche für den Standort, Krisenfolgen („Betongold“) und die eigene Betroffenheit vieler Linksradikaler kreuzen. Hiermit gibt es  sogar in diesem Land – in dem wir auf absehbare Zeit wohl nicht darüber hinaus kommen, so stark wie möglich zu werden, um vor allem die Prozesse anderswo besser unterstützen zu können –  bereits  einige Ansätze, die es lohnt weiter zu verfolgen. Zugleich steckt  die grenzübergreifende Vernetzung antikapitalistischer Gruppen (trotz der ersten Schritte im Rahmen von M31) in Europa immer noch in den Kinderschuhen. Der Versuch von verschiedenen Gruppen aus dem M31-Netzwerk beim nächsten größeren Generalstreik in Südeuropa mehr als bloß Solidemos zu organisieren und den Geschäftsbetrieb auch hier – in Verbindung mit lokalen Kämpfen – zu stören, ist daher ein Vorschlag, der viel Unterstützung verdient (http://strikem31.blogsport.eu/). Klar ist: antinationale Vernetzung und lokale Verankerungen brauchen einander. Diese banale Erkenntnis aber in die Praxis umzusetzen, darum wird es in nächster Zeit gehen müssen. Zugleich sollten wir offen bleiben für jene plötzlichen Entwicklungen, die man gestern noch für unmöglich gehalten hat. Wie der vom Taksim-Platz in Istanbul ausgehende Aufstand gegen den autoritär-kapitalistischen Kurs der türkischen Regierung gezeigt hat, passieren die öfter als man denkt.

autonome antifa [f] im Juli 2013

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