Während im Süden Europas die Gesundheits- und Sozialsysteme zusammengebrochen sind, Menschen wieder an Trivialkrankheiten sterben und massenhaft obdachlos geworden sind, weiß das deutsche Feuilleton zu verkünden, dass die Krise überwunden und die Sparprogramme erfolgreich gewesen seien. Wenn am dritten Oktober wieder einmal fast eine halbe Million Menschen zusammenkommen, um die deutsche Einheit zu begehen, wird mit der nationalen Selbstdarstellung und Selbstbeweihräucherung dieser Sieg über die Menschen gefeiert.
Denn wie es sich für die Hauptstadt der Mittelmäßigkeit gehört, wird in Hannover kein rauschendes Fest gefeiert werden. Nicht das wir das vorziehen würden; Aber der Mauerfall und die imaginierte „friedliche Revolution“ dürften wie schon in den Jahren zuvor nebensächlich bleiben – schließlich ist der dritte Oktober auch nur der bürokratische Stichtag der Wiedervereinigung. Und so wird vor der Politik des deutschen Gewaltmonopolisten, die in der Krise besonders brutal zu Tage tritt, ganz nüchtern der Hut gezogen. Grund genug also für ein antikapitalistisches und antinationales Stelldichein.
Exportweltmeister von Armut, Ausgrenzung und Leistungszwang
Die Politik, die Deutschland den ökonomisch schlechter gestellten Staaten in der Krise anempfohlen hat, lässt sich ziemlich einfach zusammenfassen: Sparen bis der Arzt kommt (ziemlich wörtlich) und alles was die Lohnarbeitenden einst in Zeiten des Fordismus Staat und Kapital abtrotzen konnten wieder zurückbauen. Und auch wenn die aufdringliche Art und Weise mit der dieses Rezept verschrieben wurde von den Staatschefs der südlichen Länder anfänglich gegeißelt wurde, so kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich diese Politik in den Augen der europäischen Staaten und des europäischen Kapitals als erfolgreich erwiesen hat. Die Folge ist, dass “Austerität” für die Menschen damit zum Dauerzustand geworden ist.
Dass die Krise vorbei sei, ist deshalb an Zynismus eigentlich kaum zu überbieten, zumindest aus Sicht von denen, die von der überlegenden Wirtschaftsmacht Deutschlands nix haben: Und das sind objektiv betrachtet eigentlich fast alle. Das überragende Wirtschaftsgewicht Deutschland rührt vor allem von rekordverdächtig niedrigen Lohnstückkosten her. Und die kommen nicht von ungefähr: das deutsche Proletariat nimmt dafür seit Jahren stagnierende Reallöhne in Kauf, Stammbelegschaften wurden durch prekär Beschäftigte ersetzt und Hartz-IV hat das übrige erledigt. Und trotzdem stimmen die deutschen Standortameisen der Politik “ihres” Staates noch zu: Denn sie haben eingesehen, dass es in der Staatenkonkurrenz heißt: Friss oder Stirb. Und “ihr” Staat hat sich bekanntermaßen für ersteres entschieden.
Die neue deutsche Kriegseuphorie
Flankiert wird diese Einsicht durch die paranoide Angst, dass “uns” etwas weggenommen werden könnte. So können eurokritische Parteien punkten durch das Versprechen den Euro abzuschaffen und die vermeintlich unprofitablen Länder nicht länger zu alimentieren. Die Ideologie aber, dass der Euro ein versehentliches Geschenk an Südeuropa war und einer überlegenen Rolle Deutschlands in der Welt im Weg stünde, wird anschaulich von der deutschen Exportstärke unterlaufen.
Mit Hilfe des europäischen Machtblocks wähnt sich der deutsche Staat sogar wieder in der Lage immer und überall neue Märkte zu erschließen und sich mit Konkurrenten wie China, Russland oder den USA messen zu können. Was es heißt, wenn Deutschland wieder selbstbewusst seinen Konkurrenzvorteil über die europäischen Außengrenzen hinaus sucht, wurde vom Bundespräsidenten Gauck bei seiner Rede anlässlich der Einheitsfeier im Vorjahr veranschaulicht. Euphorisch forderte er, dass Deutschland sich mehr denn je auch militärisch als Ordnungsmacht auf der ganzen Welt aufzuspielen hätte. Die restliche Politik brauchte um das so zu sehen zwar nicht erst ihren Friedenspfaffen, sein moralischer Schießbefehl leistet ihnen dennoch gute Dienste. So zum Beispiel in der Ukraine, wo sich einen Monat später der ehemalige Machthaber Janukowitsch gegen das Assoziierungsabkommen mit der EU sperrte und sich stattdessen Russland zuwandte. Der europäische Hegemon Deutschland ließ das nicht auf sich sitzen und unterstützte kurzerhand die Oligarchen, die offen mit faschistischen Kräften im Bunde waren, um Janukowitsch vom Thron und die Ukraine in einen Bürgerkrieg zu stürzen – All das mit breiter Zustimmung der Öffentlichkeit.
Es gibt eine Alternative
Die Pointe besteht nun aber nicht darin, dass die deutsche Politik zu rigoros oder eben besonders Deutsch wäre. Sondern ganz im Gegenteil darin, dass so business as usual im vielzitierten Hamsterrad des Kapitalismus aussieht und aussehen wird. Die Aufgabe für eine radikale Linke besteht deshalb darin gegen das Gerede von der Alternativlosigkeit dieser Politik tatsächliche Alternativen aufzuzeigen und eine Entscheidung der Individuen zu verlangen. Die Einheitsfeier ist dafür kein schlechter Anlass. Denn wenn sich Staatspersonal und die Zwangskollektivierten zuprosten und dem Standort nochmal die Treue schwören, können wir den Spiegel vorhalten und zeigen, was da gefeiert wird: Armut, Ausgrenzung und Leistungszwang. Die Alternative wäre ein Leben, in der es um die Befriedigung unserer Bedürfnisse geht, eine Gesellschaft in der “alle ohne Angst verschieden sein können”. Diese Gesellschaft, weltweit, nennen wir: Kommunismus.
…ums Ganze!, August 2014
2. Oktober, 18 Uhr, Opernplatz
1000 gute Gründe gegen die Nation
Kundgebung mit musikalischer Unterstützung von:
The Toten Crackhuren im Kofferraum, Egotronic, Frittenbude
3. Oktober, 14 Uhr, Opernplatz
Was ihr feiert: Armut, Ausgrenzung, Leistungszwang
Demonstration gegen die Einheitsfeier
4. Oktober
Die Nation: Kein Grund zu feiern!
Antinationaler Kongress
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